Schneemond (German Edition)
betrachtete weiter den alten Indianer, der leise singend auf dem Boden des Nebenraumes saß und sich seiner Umgebung scheinbar nicht bewusst war.
»Was macht Sie so sicher, dass er nichts mit diesen Morden zu tun hat,Frank?«, fragte er ohne den Blick von dem alten Mann zu nehmen.
Torrens überlegte eine Weile bevor er Moore antwortete.
»Ich bin mir nicht sicher, aber mein Gefühl sagt mir, dass er nicht als Täter in Frage kommt.«
Nun wandte sich Moore doch um und sah Agent Torrens durchdringend an. »Ihr Gefühl? Frank, was bringt Sie nur dazu, bei diesem Fall die bekannten Fakten zu ignorieren und sich ständig auf Ihr Gefühl zu berufen? Mr. Ukowa hat die Morde gemeldet und es kommt oft vor, dass ein Täter dies tut. Er war nachweislich am Tatort und hat sogar die Opfer berührt, was nun für einen, der zufällig zwei Leichen findet schon eher ungewöhnlich ist....«
»Aber diese Abdrücke entstanden nachweislich postmortal«, unterbrach ihn Torrens.
Moore winkte ab. »Es kommt oft vor, dass ein Täter seine Opfer manipuliert, nachdem er sie getötet hat. Macht über das wehrlose Opfer, Inszenierung des Tatortes, und so weiter, da gibt es viele Möglichkeiten und das wissen Sie auch. Und dass er die Lage des Körpers, wenigstens einer der Frauen, nachträglich verändert, hat wirft in meinen Augen schon einige Fragen auf. Verdammt Frank, Intuition ist ja, gerade bei Ihrer Arbeit, etwas eminent Wichtiges. Aber warum schmeißen Sie denn plötzlich alle Grundregeln der Ermittlungstätigkeit über Bord?«
Torrens nickte.
»Ok. Sam, Sie haben ja Recht, vielleicht gehe ich die Sache wirklich nicht richtig an. Aber bei diesem Fall schrillen einfach alle Alarmglocken bei mir und ich kann nicht sagen wieso.«
Moore betrachtete Frank Torrens nachdenklich.
»Also gut«, sagte er schließlich zu ihm, »ich gehe jetzt zu Mr. Ukowa – alleine, wenn aus Ihrer Sicht nichts dagegen spricht – und versuche meinen ersten Eindruck über ihn etwas zu erweitern. Ich würde jedoch gerne heute Abend mit Ihnen ein Gespräch führen. Darüber, was Sie bei diesem Fall
wirklich
beschäftigt. Was halten Sie davon?«
Torrens überlegte und schien mit sich zu ringen.
»Einverstanden Sam«, gestand er seinem Partner schließlich zu.
Moore nahm seine Unterlagen, die er auf dem kleinen Tisch zu seiner rechten abgelegt hatte, verließ den Beobachtungsraum und betrat kurz darauf das Verhörzimmer, in dem John Ukowa, noch immer leise singend, auf dem Boden saß. Der alte Indianer schien ihn gar nicht zu bemerken. Moore setzte sich auf den Stuhl an seiner Seite des Tisches, legte seine Unterlagen vor sich ab und zog ein kleines Aufnahmegerät aus seiner Jackettasche, welches er neben die Akten legte. John Ukowa wiegte sich weiter unbeteiligt im Rhythmus seines Gesanges.
Moore schlug die Beine übereinander, legte die Hände auf seine Knie und betrachtete den Mann interessiert. Ukowa schien nicht sehr groß zu sein, vielleicht einssechzig oder so, möglicherweise ein wenig größer; jedenfalls kleiner als er selbst. Seine nackten Füße ragten aus einer ausgebleichten und zerschlissenen Jeans. Moore’s Blick fiel auf die Fußsohlen des Alten, die zernarbt und rissig waren wie Baumrinde, jedoch sicher keinen Vergleich mit Sohlen von Trekking-Stiefeln, was die Zähigkeit anbelangte, scheuen mussten.
Er bezweifelte, dass dieser Mann schon einmal in seinem Leben Schuhe getragen hatte. Unwillkürlich erinnerte er sich an seine wenigen Barfuß-Erfahrungen, bei denen ihm die kleinsten, harmlosesten Steinchen Schmerzen verursacht hatten, dass er gestelzt war wie ein Flamingo. Schon bei dem bloßen Gedanken an die Dornen und scharfen Felskanten, mit denen Ukowa’s Sohlen sicher oft traktiert wurden, schmerzten ihn seine eigenen Füße, die wohl verwahrt in synthetischen Socken und sündhaft teueren Schuhen steckten.
Neben der Jeans waren ein einstmals helles Leinenhemd und eine speckig braune Lederjacke die einzigen Kleidungsstücke, die der alte Mann trug. Sein schneeweißes, schütteres Haar war lang und im Nacken mit einem Stoffband zu einem Zopf gebunden. Moore wusste, das es heute auch in Kreisen von Geschäftsleuten, Managern, Künstlern, und so weiter, hipp war, dass
Mann
Zopf trug. Er hatte diese Mode jedoch immer belächelt.
Bei dem Mann, der da vor ihm auf dem Boden saß, hatte diese Frisur eine vollkommen andere Wirkung. Zusammen mit seinem zerfurchten Gesicht, das an gegerbtes Leder erinnerte, vermittelte es den Eindruck von
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