Schneenockerleklat
Gäste des ›Semmering Grand‹ ein Opfer für ein vorbauendes Ablenkungsmanöver zu
wählen.
Dessen Tod hatte den Sinn, größtmögliche Irritation und
Ablenkung der Polizei zu erreichen. Und zwar, was Motiv und Person des
Auftragsgebers des eigentlichen Attentats betraf, das erst morgen Abend
stattfinden sollte.
Pahl-Giacomettis Lächeln nahm leicht diabolische Züge an. Er
sollte also auch Gott und nicht nur den Henker spielen. Ihm konnte es recht
sein, im Gegenteil, damit gewann die Arbeit in seinen Augen zusätzlich an Reiz.
Wenn er sich so die Namen der beiden Persönlichkeiten auf der
Zunge zergehen ließ, die ausdrücklich n i c h t zum
Abschuss freigegeben waren, dann war ihm völlig klar, wer hinter diesem Auftrag
stand.
Na ja, um die Auflage des Kunden optimal zu erfüllen, wäre es
wohl am unverdächtigsten, die Frau, aber das ging ja auch nicht, also ein
anderes Familienmitglied dieser Persönlichkeit zu erlegen. Eine bessere falsche
Spur legen konnte man kaum, denn wer würde schon ernsthaft auf die Idee kommen,
dass jemand den Tod eines Familienmitgliedes veranlasst hätte?
Falls allerdings der Auftraggeber diese Möglichkeit als eine
der Optionen innerhalb der gegebenen Bandbreite übersehen hatte, na, dann war
das wohl Pech, viel Pech sogar.
Mala fortuna, wenn auch nicht unbedingt im astrologischen
Sinn.
Ein leichter Wind war aufgekommen und sandte kleine Böen in
die Winkel und Nischen der mit Balkonen übersäten Vorderfront des ›Semmering
Grand‹. Die dabei entstandenen Wirbel wirbelten, was auch sonst, den Schnee auf
und ließen das ›Grand‹ hinter einem wunderschönen, zarten, weißen Schleier
verschwinden.
So, und jetzt kam wieder diese verdammte Geheimnistuerei.
Diese Unterlagen sind sofort nach Kenntnisnahme völlig zu vernichten, stand auf
jedem einzelnen Blatt. Man erwartete wohl, dass er jedes einzelne Blatt jetzt
zu einem kleinen Bällchen zerknüllte, in den Mund nahm, ordentlich
einspeichelte und dann verschluckte. Oder etwas in der Art.
Und das völlig ohne Pesto, Sugo oder zumindest Senf. Ganz zu
schweigen von einem Glas Rosso oder einem schönen Pils.
Na, so heiß wurde bei Pahl-Giacometti nicht gegessen, wie die
anderen kochen wollten. Eher achtlos legte er das Blatt auf das Tischerl neben
dem Rollstuhl.
Ehe er sich nun dem zweiten Teil seiner Instruktionen
widmete, war es aber wieder einmal Zeit für einen kurzen Besuch des Bades. Dass
man öfters pinkeln musste als in der Jugend, gehörte leider zu einer der Plagen
des zunehmenden Alters. Mühsam erhob sich der Commendatore, schleppte sich zum
WC.
Inzwischen hatte der verspielte Aiolos einen leichten
boshaften Drang entwickelt. Und begonnen, nicht nur Schnee, sondern vereinzelt
auch leichtere Gegenstände wie Servietten, Papiertaschentücher und lose
Notizblätter aufzuwirbeln und von den Balkonen zu entführen.
Ob hinsichtlich der Auswahl dieser Dinge und ihrer
Destination, also dem Ort, wo sie schließlich landeten, das Zufallsprinzip
entschied oder das Schicksal, war nicht bekannt.
Aber eigentlich auch egal.
*
Wenige
Minuten vor 17 Uhr hielt ein dunkel lackierter Kleintransporter in der Nähe
eines Notausganges des Krankenhauses in einer steirischen Kleinstadt an. Ein
langer, eher schlaksig wirkender jüngerer Mann stieg aus, öffnete die seitliche
Schiebetüre und kletterte in den Laderaum. Nach kurzer Zeit stieg er wieder aus
dem Wagen, mit einem zusammengerollten Teppich auf der Schulter. Oder etwas,
das zumindest beim ersten Hinschaun so aussah.
Der Mann trug den Teppich oder das, was so aussah, beim
ersten Hinsehen wenigstens, zu einer Bank, die in der kleinen, derzeit
verschneiten Grünfläche vor dem Notausgang stand. Dort lud er den
teppichähnlichen Gegenstand oder, na lassen wir das jetzt …
Er lud also den Teppich ab und legte ihn vorsichtig auf die
Bank. Beziehungsweise auf die Decke, die er vorher auf der Bank ausgebreitet
hatte.
Dann breitete er sorgfältig weitere Decken über den Teppich,
murmelte etwas wie: viel Glück. Dann stieg er wieder ins Fahrzeug und fuhr ins
Zentrum der kleinen Stadt. Dort hatte er einen öffentlichen Fernsprecher
gesehen.
Nach einem kurzen Telefonat entfernten sich der Mann und sein
Wagen in nördliche Richtung, aus der sie auch gekommen waren.
Auf den Schlag genau um 17 Uhr wurde der Notausgang
des Krankenhauses aufgerissen und zwei Krankenschwestern stürmten heraus. Kaum
hatten sie
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