Schneerose (German Edition)
beschützt.“
„Das...
das kann schon sein, aber wie kommst du jetzt darauf?“, will Tru zögerlich
wissen.
„Sie
spricht zu mir.“
Ein
kalter Schauer läuft über Trus Rücken. Sie hatte so etwas schon geahnt, doch es
aus Lias Mund zu hören, macht ihr deutlich wie groß der Einfluss Liliths auf
Lia wirklich sein muss. Sie zwingt sie dazu Dinge zu sagen und zu tun, die sie
nicht will und trotzdem glaubt Lia fest daran, dass ihre Mutter stets in guter
Absicht handelt. Wie kann Tru sicher sein, dass es Lia ist, die sie vor sich
hat, wenn sie mittlerweile nicht mehr alleine in ihrem Körper ist, sondern wie
von einem Parasit besetzt ist? Ist es gewiss, dass Lia ihr die Liebe
entgegenbringt und nicht Lilith sie dazu bringt, um ihr Lebensenergie
abzusaugen? Was wenn Lia sie gar nicht wirklich mag und alles was sie sagt nicht
ernst gemeint ist?
Die
Finsternis umschließt mich und streckt ihre kalten Klauen nach mir aus. Sie
reißt an meiner Kleidung und meiner Haut. Tiefe blutige Striemen ziehen sich
durch mein Fleisch. Jede Bewegung schmerzt.
Meine
Lippen sind gesprungen und so trocken wie der heiße Stein über den meine Füße
auf der Flucht jagten. Ist das mein Schicksal? Ist das meine gerechte Strafe?
Ich erkenne meine Schuld an, sie lastet schwerer auf mir als jeder körperliche
Schmerz es je könnte und doch sehne ich mich nach dem Leben, auch wenn ich
keine Vergebung erwarten kann.
Seitdem
Chasity das tödliche Blut getrunken hat, ist es nur noch dunkel in ihrer Welt.
Sie hat das Gefühl zu fallen, ohne je anzukommen. Selbst wenn der Aufschlag sie
zerschmettern würde, wäre es besser als in diesen ständigen Träumen gefangen zu
sein. Sie weiß nicht mal mehr ob es ihre eigenen Träume oder die eines anderen
sind. Ihr langes Leben zieht wie ein Film an ihr vorbei, immer und immer
wieder, die Geschehnisse vermischen sich miteinander und geraten in die falsche
Reihenfolge. In der einen Minute ist sie die Königin der Vampire und in der
nächsten bereits der Mensch, dessen letzter Tropfen Blut aus seinem Körper
tritt und sein Herz zum Stillstand bringt. Sie spürt die Qualen ihrer Opfer. Es
sind so viele, aber es ist harmlos zu dem einen Traum, der immer und immer
wieder zu ihr zurückkehrt. Es ist SEIN Traum. Es ist SEINE Geschichte.
Meine
Muskeln sind zu Stein erstarrt. Ratten nagen an meinem blutleeren Körper und
Spinnen kriechen in meine Nase, meine Ohren und meine vertrockneten Augen. Zu
viele Tränen habe ich vergossen. Ich bereue. Ich bereue so sehr. Oh Bruder, was
habe ich dir nur angetan? Was habe ich mir nur angetan?
Sie
will schreien, doch kein Ton dringt über ihre Lippen. Sie spürt nicht mal mehr
ihre Lippen. Sie spürt nicht ihre Beine, ihre Arme oder überhaupt irgendein
Körperteil. Vielleicht ist sie tot und ihr Körper bereits zu Asche zerfallen.
Vielleicht ist ihre Seele in der Leere der Unendlichkeit gefangen. Haben
Vampire eine Seele?
Wie
ein Schleier aus Seide ergießt sich ihr feuerrotes Haar über mein Gesicht. So
warm und weich streicht es das ganze Ungeziefer davon. Der süße Duft von Milch
und Honig kitzelt in meiner Nase. Die erste Empfindung seit Wochen. Ihre
schneeweiße Hand berührt meine Wange, so zart und leicht wie eine Feder. Sie
ist Licht. Sie ist Wärme. Sie ist Hoffnung. Sie ist Leben. Sie ist ALLES.
Wie aus weiter Ferne dringen Gesprächsfetzen immer
wieder an Chasitys Ohren. Sie versteht sie nicht im Geringsten und möchte ihnen
zurufen, dass sie lauter reden sollen, doch ihre Stimmbänder sind zu einer
zähen Masse verschmolzen. Mal erscheinen ihr die Stimmen bekannt und dann doch
wieder fremd. Der drohende Zeigefinger ihres Vaters taucht aus der Dunkelheit
hervor, wie die spitze Klinge eines Dolches, bohrt er sich in ihre Brust. „Du
hast versagt! Du bist eine Schande!“
“Trink!“,
fordert sie und der Klang ihrer Stimme ist wie Musik in meinen Ohren. Ich höre
tausend Glocken und Geigen auf einmal spielen. Eine Symphonie, die mein Herz
zum Schlagen und meine Augen zum tränen bringt. Ihre Lippen sind so rot wie
reife Erdbeeren. Ich könnte mein Leben damit verbringen ihre Lippen beim
sprechen zu beobachten und ihren Worten zu lauschen. Es wäre ein erfülltes
Leben.
Ein
Tropfen süßer als die verbotene Frucht je schmecken könnte, fällt von ihrem
schmalen Handgelenk auf meine trockene Zunge. Die eingefrorenen Lebensgeister
erwachen mit einem Mal zum Leben. Wie ein Feuer zieht sich der winzige Tropfen
durch meinen
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