Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
Vom Netzwerk:
Stiefmutter!
    Silvia denkt an den Pfarrer und ihre Beichte. Irgendwann war sie aber weggekommen von dem zwanghaften Wunsch zu beichten. Ganz plötzlich hatte sich ihr Schuldgefühl in sein Gegenteil verkehrt. Nein, sie würde weder sich noch jemand anderen für schuldig erklären. Ihre Aufgabe ist es, dass sie und Kristina aus der Sache rauskommen. Danach denkt sie kurz an ihren Mann. Er hatte ihr das Haus und den Pool im Keller überlassen. Schwimm weiter! Hatte er gesagt, denn aus dem, was sie als Familie angefangen hatten – »Gesund leben!« –, daraus war etwas Krankes geworden. Bei ihr. Sie schwimmt zu viel. Sie lebt zu gesund. Es ist traurig. Dass aus etwas Gutem etwas so Schlechtes geworden ist. Sie waren gescheitert.
    Diese Gefahr besteht immer. Dass Mann und Frau scheitern. Woran liegt das? Am Egoismus? Am Zwang? Daran, dass jeder Mensch etwas will, und es ihm letztlich egal ist, was die anderen wollen? Ist das Mord? Lebensmord?
    Der Mann aus dem Auto ist zufrieden. Er hat einen großartigen Text von Kleist gelesen. Madame Darlan hatte ihn darauf hingewiesen. Texte und Rotwein. Eine Stunde am Abend. Ja, die Welt ist friedlich. Er sitzt im Wohnzimmer und betrachtet das Buch auf dem Glastisch. Alles ist gut. Seine Frau ist schon vor einer Stunde ins Bett gegangen. Er hofft, dass sie schläft, wenn er nachher hochgeht.
    Als Roland in seiner Pension im Bett liegt, versucht er, Juliet anzurufen. Sie geht nicht an den Apparat. Er ist irritiert. Er hatte damit gerechnet, dass sie zu Hause ist. Erst will er den Gedanken einfach beiseite schieben, aber dann steht er doch noch mal auf, geht runter und holt sich aus dem Kühlschrank hinter dem Tresen zwei Flaschen Bier. Er legt Geldhin und geht wieder hoch. Er darf so was. Man kennt ihn hier. Es ist zu weit, um nach Hause zu fahren. Wenn ein Fall dringlich ist, übernachtet er hier. Eine Weile steht er in seinem Zimmer, das Bier in der Hand. An der Wand hängt ein Stich. Eine Windmühle. Davor zwei Reiter, die ein totes Reh zwischen sich halten, auf dem etwas auf Lateinisch steht. Der Kommissar war ganz gut in Latein. Auf dem Reh steht: »Teile gerecht!« Neben den Reitern steht eine Bäuerin, die einen Ball oder Kohlkopf in die Luft wirft. Roland Colbert hat nie begriffen, was das Bild bedeuten soll, und er versteht immer noch nicht, warum Juliet nicht ans Telefon geht. Er legt sich schließlich ins Bett, trinkt sein Bier, knipst das Licht aus. Es dauert lange, bis er einschläft. Er träumt von zwei Reitern, die an einer Art Wandteppich entlangreiten, der die Geschichte Europas darstellt.

Zweiter Tag – Sonntag
    Der Sonntagmorgen beginnt damit, dass der König auf seinem Thron sitzt. Hinter ihm steht eine scharfkantige Palme aus Blech, ein befeuertes Objekt, das an eine große Gasflasche angeschlossen ist. Die Flammen züngeln den Stamm hoch, verbreiten Wärme. Der König blickt über die Landschaft vor sich. Es ist nur ein heller Schimmer. Eine Wüste mit Kratern und Heide im Sommer, jetzt eine weiße Wüste. Die Deutschen und die Franzosen haben diese Krater in die Landschaft geschossen. Bäume sind nie wieder gewachsen. Der König residiert auf einem Hügel über der Wüste. Hunderttausend Männer sind hier gefallen. Neunzig Jahre ist das her.
    Dann kommt eins von den Mädchen. Das Mädchen setzt sich neben seinem Thron auf den Boden und blickt, wie er, nach vorne. So sitzen sie eine Weile. Der König und das Mädchen. Im Gesicht des Mädchens kleine Anzeichen von Unruhe. Das Mädchen schaut hoch zu ihm. Es ist ein fragender Blick. Der König nickt nicht, aber die Art, wie er ihren Blick erwidert, scheint sie in irgendetwas zu bestätigen. Jedenfalls wirkt sie, als sie wieder nach vorne guckt, sicher.

    Für Roland Colbert beginnt der Sonntag mit einem erfreulichen Gespräch. Er liegt noch im Bett, als Sina anruft und fragt, wann er kommt.
    »Ich kann nicht nach Hause kommen, Sina … Ja, würde ich auch gerne, aber mein Auto steckt in einem Graben …Nein, mir ist nichts … nein, ich bin nur rückwärts in den Graben gerollt … Ich weiß nicht, wann ich wieder nach Hause komme, es schneit immer noch, und die Straßen sind nicht frei. … Wie? … Ja gut, gib sie mir. … Hallo, Juliet. … Ja, das Bett ist lang genug. … Na ja, wo schon? Noch in Fleurville. … Nein, nichts ist passiert, mein Auto steckt nur in einem Graben fest. … Nein, nichts Schlimmes, ich bin einfach nur rückwärts … Wie? … Gemütlich! … Klingt gut … Fisch zum Frühstück?

Weitere Kostenlose Bücher