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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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ist, fiel ihr nichts Besseres ein. ›Ihr müsst mir versprechen, dass ihr herausfindet, wer es war.‹ So istdas mit den dummen Leuten. Sie können sich nicht ausdrücken.«
    Madame Darlan steht auf und verlässt den Raum. Ohayon bleibt sitzen. Roland Colbert will ihr folgen, Ohayon macht ihm ein kleines Zeichen mit der Hand. Roland Colbert kehrt also zum Fenster zurück und schaut wieder zum Schuppen. Es schneit immer noch. Aber nur ein bisschen. Es ist still. Eine Minute lang passiert nichts. Keiner rührt sich. Dann kehrt Madame Darlan zurück. Sie hat keine Flasche dabei. Sie hält kein Glas in der Hand. Sie hat nicht geweint. Sie wirkt größer, sogar jünger als zuvor. Sie stellt sich vor die Wand, an der Genevièves Bild hängt. Ganz gerade steht sie da. Sie spricht ruhig und selbstbewusst.
    »Ich habe sie gesehen. Da am Schuppen. Da, wo Sie die ganze Zeit hinstarren. Ich habe nicht so lange dort hingestarrt. Es kommen öfter welche von den Jugendlichen hierher. Wenn es regnet, stellen sie sich da beim Schuppen unter. Sie haben mich gestern gefragt, ob Geneviève hier im Haus war. Sie war nicht im Haus. Sie war da am Schuppen. Und sie war nicht allein. Sie haben sich geküsst. Sehr schüchtern … zärtlich … Ich habe nicht lange hingesehen. Es ist mir unangenehm, wenn sie herkommen. Ich bin seit vier Jahren Witwe, und mitanzusehen, wie ungeniert … Aber bei Geneviève war es anders. Sehr zärtlich … Wie gesagt, ich habe nicht lange hingesehen. Sie werden sich jetzt fragen, warum ich das nicht früher gesagt habe. Dafür gibt es einen einfachen Grund. Ich wollte jemanden schützen.«
    »Sie kennen den Jungen?«
    »Es war kein Junge. Geneviève hat Zärtlichkeiten mit einem Mädchen ausgetauscht.«
    Roland Colbert setzt zum Sprechen an, Ohayon schüttelt ganz fein den Kopf, der Kommissar schweigt.
    »Ich weiß nicht, wer das Mädchen war. Es war dunkel. Sie wird im gleichen Alter gewesen sein. Das ist alles, was ich weiß. Ich persönlich glaube nicht, Monsieur …«
    »Ohayon.«
    »Monsieur Ohayon … Für mich wäre die Ermittlung desTäters kein Trost. Aber wenn es für Genevièves Mutter ein Trost ist, dann hoffe ich, Sie finden denjenigen, der Geneviève erschlagen hat. Ich hoffe es wirklich.«
    »Danke, Madame. Es ist ja so … Das lastet auf einem. Dieser Auftrag von einer Mutter.«
    Madame Darlan sieht ihn an. Sie weiß immer noch nicht, mit was für einem Menschen sie es da zu tun hat. Aber ihr Interesse an Ohayon ist geweckt.

    Juliet sitzt im Bett, ihrs und Rolands Kissen im Rücken. Die Dachschräge, der alte Kleiderschrank, die hübsche, kleine Nachttischlampe, deren Licht …
    Sie hatte, nach der Lektüre von Monsieur Joiets Einleitung zu Schopenhauer, einen Wutanfall bekommen, sofort Monsieur Chevrier aufgesucht und ihm eine Zusage gegeben. Wenn gewünscht, würde sie ihre Abteilung ab März leiten. Danach hatte sie sich die Genehmigung geholt, Monsieur Joiets Beiträge zum Lesebuch ersatzlos zu streichen.
    Nach dem Gespräch mit Monsieur Chevrier war sie in ihr
Restaurant an der Schleuse
gefahren, und hatte sich einen Café au Lait bestellt und … Nun ja … Danach hatte sie etwas total Unlogisches getan und Monsieur Joiets Einleitungstext noch mal gelesen. Er war eigentlich gar nicht so schlecht. Schopenhauer auch nicht.
    Ein scharfer Knall, dann ein dunkles Brummen. Juliet sah nach draußen. Viel Wasser strömte, die Schleuse wurde geöffnet.
    Womit Schopenhauer begann, gefiel ihr: Wütend zu sein, vom Schlimmsten auszugehen, die Wunden herbeizureden und dann aufzukratzen, das war, als Methode, die Gedanken in Schwung zu bringen, brillant. Als die Bedienung kam und fragte, ob sie noch einen Café au Lait wünsche, verlangte sie ein Bier.
    »Und bitte ein großes, wenn’s geht!«
    Sie trank das Bier in einem Zug fast vollständig leer. Ja, das Unvernünftige machte für sie durchaus Sinn.
    Die Schleuse war jetzt offen, ein kleines Boot mit vielen Fähnchen kam aus dem Schleusenbecken heraus. An Deck standen ein paar Leute und winkten, sie winkte zurück. Dann wieder ein Knall, wieder das dunkle Brummen. Die Schleuse ging wieder zu.
    Trotzdem! Sie würde ihr Lesebuch so machen, wie sie wollte, und konnte dabei gerne auf Schopenhauer verzichten.
    Und noch etwas war ihr klar.
    So etwas durfte ihr nie wieder passieren, dass sie so ausstieg. Aus sich. Es war ja gerade noch gut gegangen. Sie hatte Monsieur Joiet ihren Dolch nicht in die Brust gestoßen. Schopenhauer ja, den hatte sie

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