Schneespuren gibt es nicht (German Edition)
Sie zog die Tür zu. Pfeifend ging die Zugbegleiterin zum nächsten Abteil. „Ahh, do Sängerknabe! Bloowinn in se wind un so, he“, lachte sie. „Hoffentlich haben wir auf der Heimfahrt anderes Personal“, stöhnte Konny. „Ich habe sie in Knut Steinbrechers Abteil gelotst!“, verkündete Berti voller Stolz. Konny lachte. „Die Alte hätte uns platt gemacht!“ „Hör auf! Schau mal, ich bekomme Gänsehaut!“ Der Bordlautsprecher knisterte. „Meine sehr verehrten Fahrgäste. In etwa dreißig Minuten erreichen wir München-Hauptbahnhof. Wir bedanken uns bei Ihnen und wünschen eine gute Weiterfahrt … Ladys and Genteleman …“, wurde die Durchsage in englischer Sprache wiederholt. Sie gaben sich mit einem Schluck Kaffee und einem halben Croissant zufrieden. Mehr ging momentan nicht rein. Verkatert und völlig übermüdet kamen sie in München an. „Wir suchen schnell eine Apotheke und kaufen Aspirin.“ Sie gingen am Gleis entlang. Hinter den beiden Freunden stiegen die Mitglieder der erleuchteten Kiffer-Runde aus dem Amsterdam-Express. Auch deren Gesichter wirkten gequält. Knut Steinbrechers Konterfei war kurz zu sehen. Er schien sich in der Masse seiner Glaubensgemeinde zu verstecken. Immer wieder blickte er nach hinten. Gezielt hielt sich der Freizeitprediger immer in der Mitte seiner Schäfchen auf. „Schau mal!“, kicherte Berti. „Der coole Knut versucht der mannstollen Erna zu entkommen!“
Polizeihauptmeister Rudi Radtke hatte einen Blick für Dealer, Illegale und „Gesockse“ aller Art, wie er zu sagen pflegte. Wie jedes Mal, wenn der Nachtzug aus Amsterdam eintraf, stand der Zivilbeamte der Bahnhofspolizei München am Gleis 23. Radtke liebte das turbulente Bahnhofstreiben. Er mochte die Mischung der Menschen, die ihm hier begegneten, liebte den fettigen Duft der Pommes-Buden genauso wie das süßliche Bukett der Mandelbrennerei oder das exotisch wirkende Aroma des chinesischen Schnellimbisses. Seit mehr als zwanzig Jahren verrichtete er hier seinen Dienst.
„Ein Tag ohne Festnahme ist ein verlorener Tag“, lautete sein Motto. Im Lauf der Zeit schaffte sich Radtke viele Feinde, aber auch einige Freunde. Einer von ihnen war Jens-Uwe Erdmann, der Koch des Amsterdam-Zuges. Erdmann schweifte in seinen Pausen durch die Waggons. Er war auf der Jagd nach Rauschgift-Dealern. Seine Nase wies ihm oft genug den Weg. Irgendwann, da war er sich sicher, würde er bei Wetten dass ...? gegen einen Drogenhund der Polizei antreten und gewinnen. Diese Nacht hatten sie es ihm leicht gemacht. Sie waren komplett zugedröhnt, als er durch den Speisewagen ging. Zwei der Kiffer hatte er sogar mit seinem Smartphone beim Rauchen eines Joints fotografiert. Per MMS waren Hauptmeister Radkte die Fotos zugesandt worden. Schon beim Morgenkaffee studierte er die Gesichter. Einer von ihnen war ein Alt-Punker, der andere ein Schwabbel-Gesicht. Beide würde er sich herausfischen. Der Chef der ganzen Bande war ein religiöser Spinner. Ein typischer Sektenguru. Auch dessen Bild war Radtke zugesandt worden. Seine Leute waren überall verteilt. Es konnte nichts schief gehen.
„Konny, Berti! Wartet mal“, dröhnte Knut Steinbrechers Stimme durch die Bahnhofshalle. Der charismatische Mittfünfziger holte auf. Er legte die linke Hand um Bertis Schulter, die rechte um Konnys. „Sagt mal, habe ich euch beiden den Besuch von Erna zu verdanken?“
Konny blickte auf den Boden und räusperte sich. Berti lief hochrot an. „War ‘ne coole Aktion! Ich hatte mächtig Spaß, nur zum Schluss hin wurde sie richtig aufdringlich. Sie kennt das Wort Ende nicht.“ „Ich weiß nicht ...“, begann Berti, doch Knut unterbrach ihn. „Lass mal gut sein. Bis meine Nudel wieder funktionsfähig ist, werden noch ein paar Tage vergehen. Ich werde mich zwischenzeitlich um andere Dinge kümmern müssen. Da wäre zum Beispiel mein Geschäft.“ „Ich denke, du bist ein ... Pfarrer, Priester, Pastor, oder so etwas in der Richtung?“, rätselte Konny. „Meine Gemeinde ist zwar großzügig, doch davon kann man nicht leben. Ich bin sozusagen hauptberuflich im Speditionsgeschäft tätig. Ich transportiere Waren von hier nach dort und setze sie um.“ „Interessant!“, sagte Konny und versuchte das Gespräch zu beenden. „Berti, weißt du auswendig, wo unser Bus abfährt?“ „Nein!“ „Ihr wart beim Aussteigen etwas schnell“, lächelte Knut Steinbrecher. „Um ehrlich zu sein, ich dachte, ihr geht in den Speisewagen zum Frühstücken.“
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