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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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eigentlich mal blicken bei euch im Dorf?«
    Bei »uns« im Dorf? »Sie wohnt hier«, sagte er ungnädig.
    »Hm.« Er spürte ihre Irritation. »Ich frage ja nur, weil …« Sie verstummte.
    »Weil sie anonyme Briefe kriegt, ihr jemand das Wohnzimmerfenster eingeworfen hat und mir der Schuppen abgefackelt wurde«, sagte Bremer.
    Er hörte sie leise lachen. »Du meinst, ich sollte mal vorbeikommen und Recht und Gesetz zur Geltung verhelfen?«
    Bremer fühlte, wie ihn Erleichterung durchflutete. Sie war noch da, die alte Freundschaft.
    »Wann kannst du es einrichten?«
    Er würde Gottfried fragen, ob er ein Kaninchen zu schlachten hätte. Er könnte eine Heidschnuckenkeule bestellen. Oder auf dem Markt in Bad Moosbach ein Perlhuhn kaufen. Er würde… Wieder hatte er ihr nicht zugehört.
    »Du wirst alt.« Karen wiederholte die Frage.
    »Eben war sie nicht da. Aber ihr Auto steht vor dem Haus.«
    »Na, macht nichts. Ich sehe sie ja wahrscheinlich bei der Beerdigung.«
    Bremer konnte sich für den Bruchteil einer Sekunde nicht entscheiden, ob er »Du gehst zur Beerdigung Reglers?« oder »Dann kommst du also heute nicht?« fragen wollte. Schließlich fragte er beides.
    »Erstens: ja, zweitens: nein.«
    Er war erstaunt über die Heftigkeit seiner Enttäuschung.
    »Vielleicht schaffe ich es morgen, Paul.« Sie klang, als ob sie ein störrisches Kind beruhigen wollte. »Nach Feierabend. Aber ob ich lange bleiben kann, weiß ich noch nicht.«
    Er ärgerte sich mindestens eine halbe Stunde lang über sich, bevor er noch einmal hinüberging zu Krista. Sie war noch immer nicht zurück, der Briefumschlag lag da, wo er ihn hingelegt hatte – vor der Haustür. Er drückte auf die Klinke. Nicht zugeschlossen. Verdammt leichtsinnig. Dann ging er ins Haus. Sie hatte braunen Pappkarton über das Loch im Wohnzimmerfenster geklebt. Auf dem Küchentisch stand eine Teekanne, in der drei unbenutzte Teebeutel hingen. Sie wollte sich offenbar gerade einen Tee kochen. Verschwindet man dann für Stunden und läßt auch noch die Haustür offen?
    »Krista?« Er lauschte seiner Stimme hinterher. Dann ging er durchs Haus mit dem unbehaglichen Gefühl eines Menschen, der gewohnt war, die Intimsphäre anderer für unantastbar zu halten. Ihr Schlafzimmer duftete nach Geisblatt und Rosen. Sie hatte das Haus auf eine Weise herausgeputzt, die in einschlägigen Zeitschriften »Landhausstil« hieß. Im Badezimmer herrschte ein Chaos aus Parfumflaschen und Kosmetiktöpfen. Alles sah teuer aus. Ob sie sich das noch würde leisten können, ohne das Gehalt eines Ehemannes?
    Er zog die Haustür sanft hinter sich zu, als er wieder hinaus ins Sonnenlicht trat. Gottfried wartete auf ihn mit Franz. Sein rundes Gesicht sah besorgt aus.
    »Und?« Was konnten die Bewohner von Klein-Roda für Welten in dieses eine Wort legen!
    »Nichts.« Bremer tätschelte Franz. Der Hund war frisch gebadet, und Herrchen trug eine auffallend gepflegte Hose.
    »Vielleicht sollten wir nachher doch mal…«
    »Nach ihr suchen? Du meinst – du und ich?«
    Gottfried guckte verlegen an sich herunter und sagte schließlich: »Gehen wir?«
    Bremer dachte kurz an das Telefongespräch mit dem alten Janz aus Wingarten, das er noch führen wollte. Und daß er Wilhelm versprochen hatte, sich um das Dach des Wartehäuschens an der Bushaltestelle zu kümmern. Aber versprochen war versprochen. Er nickte.
    Gottfried saß wie ein verängstigter Hase auf dem Beifahrersitz, als Bremer die kurvenreiche Strecke nach Waldburg hochbretterte, das etwas steif geratene Blumengebinde auf dem Schoß. Bremer hatte seine Blumen neben den neugierig an ihnen schnüffelnden Hund auf die Rückbank gelegt – einen wilden Strauß aus Wicken, duftendem Diptam und Rosen. Sie waren die einzigen beiden aus Klein-Roda, die nicht mit in die Kirche gegangen waren, in der Wolle und Kathrinchen heute getraut wurden.
    »Ich hab’s nicht so mit den Gesängen und dem Weihrauchschwenken«, hatte Gottfried gestern verlegen gemurmelt, als er sich mit Bremer verabredete.
    Es gab Leute aus dem Nachbarort, die ganz andere Gründe anführten, warum sie die kirchliche Trauung für, sagen wir mal: unpassend hielten. Kathrinchen hatte eine uneheliche Tochter und stand sichtbar kurz vor der Entbindung des nächsten Kindes – heiratet man da in der Kirche? Und auch noch in Weiß?
    »Der Hosenanzug ist eierschalenfarben«, hatte Wolle heute morgen trotzig erklärt, als ob ihm dieses Wort für die Farbe eines Kleidungsstücks völlig

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