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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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gewesen, weshalb es manchmal schwerfiel, sie alle auseinanderzuhalten, aber es beunruhigte sie, dass er sich so gar nicht mehr daran erinnern konnte.
    »Wo ist der hin, dieser Urlaub?«, meinte er. »Wie kann es sein, dass ich mich an andere erinnere, aber an den nicht mehr? Ich meine, schließlich ist meine Erinnerung keine DVD, die versehentlich hinter den Schrank rutschen kann. Sie ist einfach weg.«
    »Nicht schlimm«, entgegnete sie.
    »Wohl schlimm. Was sind wir denn, wenn nicht die Summe unserer Erinnerungen?«
    »Du vergisst, was wir werden können. Ist das nicht viel wichtiger?«
    Er zog eine Grimasse und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, als versuche er, die unauffindbaren Urlaubsschnappschüsse unter seiner Schädeldecke aufzuspüren und herauszukitzeln.
    »Na ja, das Lied hast du jedenfalls nicht vergessen«, sagte sie.
    »Nein. Es gibt Songs und Bücher und Filme, die ragen wie Landmarken heraus aus dem Meer der Erinnerungen. Überlebensgroß, deutlicher noch als die eigenen Erfahrungen. Die vergehen nie.«
    »Und so vieles vergisst man.«
    »O ja. Vieles vergisst man.«
    Sie blieben noch eine Weile in der Bar, hörten Musik und stöberten in Erinnerungen. Keinem war nach Essen zumute, also schlenderten sie schließlich auf Umwegen Arm in Arm zurück zum Hotel. Als sie ins Hotelfoyer kamen, fiel Jake auf, dass sich etwas verändert hatte.
    »Die Kerzen, die wir angezündet hatten, sind heruntergebrannt, während wir unterwegs waren.«
    »Brennen sie immer noch weiter runter?«
    »Ich bleibe jetzt bestimmt nicht hier stehen und schaue ihnen zu, um das herauszufinden, aber das wüsste ich auch zu gerne. Ich meine, das wäre doch seltsam, oder? Wenn die Kerzen nur herunterbrennen würden, solange der Strom aus ist? Das wäre doch merkwürdig, oder nicht?«
    »Weißt du was?«, sagte sie. »Ich kann einfach nicht mehr über die Antwort darauf nachdenken. Ich werde verrückt dabei. Manchmal muss man die Dinge einfach nehmen, wie sie sind.«
    »Das wäre zu leicht.«
    »Komm«, sagte sie. »Ins Bett.«
     
    Mitten in der Nacht wachte Zoe auf, weil ihr kalt war. In den Zimmern wurde es leicht heiß und stickig, weshalb sie stets ein Fenster gekippt ließen, auch wenn Zoe als Einzige die Temperaturschwankungen überhaupt wahrnahm. Sie stieg aus dem Bett und schloss das Fenster, doch als sie hinausschaute, sah sie, dass der Strom wieder ausgefallen war. Im ganzen Dorf waren die Lichter ausgegangen. Zitternd kroch sie unter die Decke.
    Aber sie konnte nicht mehr einschlafen. Also überlegte sie, Jake zu wecken und ihm zu erzählen, dass der Strom wieder ausgefallen war, beschloss aber dann, ihn schlafen zu lassen. Schließlich konnte er auch nichts daran ändern. Wach lag sie da, mit offenen Augen, und starrte hinauf in die Dunkelheit. Womöglich riss ihre Ruhelosigkeit ihn aus dem Schlaf, denn plötzlich hörte sie ihn flüstern.
    »Bist du wach?«
    Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihn an. Seine Augen waren wie dunkle Öllachen in der Finsternis. »Ja. Der Strom ist wieder weg.«
    »Seit wann?«
    »Keine Ahnung. Seit mindestens einer Stunde. Mir war kalt. Deshalb wollte ich das Fenster schließen. Ist dir auch kalt?«
    »Komm her. Kuschele dich an mich. Versuch zu schlafen.«
     
    Am nächsten Morgen, als sie aufwachten, war der Strom noch immer nicht zurück. Zoe spürte den Temperaturunterschied ganz deutlich: Das normalerweise überheizte Hotel war über Nacht ausgekühlt. Jake meinte, er merke keinen Unterschied, doch sie kamen nicht umhin, darüber zu reden, was sie machen würden, sollte der Strom nicht wieder angehen. Sie nannten es »die Energiekrise«. Sie redeten über ihre Essensvorräte. Die Gefrierschränke im Hotel sowie die im Supermarkt und vermutlich auch in den anderen Hotels waren randvoll mit gefrorenen Lebensmitteln, weshalb sie sich bisher nie Gedanken darüber machen mussten, woher sie ihr Essen nehmen sollten. Sollten nun aber die Gefrierschränke ausfallen, würden sämtliche Vorräte innerhalb weniger Tage verderben. Es sei denn, sie schleppten alles nach draußen und vergruben sämtliche Tiefkühlprodukte im Schnee.
    Im Foyer des Hotels gab es einen großen Kamin. Dort könnten sie Feuer machen, um sich warm zu halten, entschieden sie. Holz gab es mehr als genug. Jake meinte, sie könnten sogar die anderen Hotels Balken um Balken verbrennen, sollte ihnen das Brennholz ausgehen. Zoe legte die Hand auf ihren Bauch. Sie fürchtete die Zukunft an diesem Ort.
    Gemeinsam gingen

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