Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
pflegten. Sie besuchten ihn regelmäßig, gingen mit ihm spazieren und brachten Pralinen mit.«
Hinnrichs grapschte sich den Zettel vom Tisch, bevor Bredeney und Verhoeven eine Chance hatten, einen Blick darauf zu werfen. Er überflog die Namen und stieß angesichts der vielen Fragezeichen ein verächtliches Stöhnen aus. »Herrgott noch mal, ist das ein verdammtes Ratespiel, oder was?«
»Die vollen Namen der betreffenden Kollegen zu ermitteln, dürfte kein Problem darstellen«, versicherte Winnie eilig, während sie aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Hinnrichs das Blatt an Verhoeven weiterreichte.
Dieser öffnete überrascht den Mund, sagte jedoch nichts.
Doch Winnie war keineswegs sicher, ob sie sich darüber freute. Verhoeven kannte ihre Handschrift. Und er hatte sehr wohl gesehen, dass sie selbst es gewesen war, die Grovius’ Namen unter die anderen gesetzt hatte. Nicht Felicia Ott.
»Ich habe gestern mit einem Zeugen gesprochen, der Mang und seine Clique bereits vor dem Ausbruch von Mangs Erkrankung gekannt hat«, fuhr sie fort. »Er hat mir ein paar Namen genannt, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, sie zu überprüfen.« Sie zog eine weitere Liste aus der Kladde, die vor ihr auf dem Tisch lag. Diese Liste war ihre persönliche Trumpfkarte. Oder zumindest hoffte Winnie, dass sie eine Trumpfkarte werden würde. »Falls ich richtigliege, gab es eine Verbindung zwischen Ackermann und der Pique Dame. Ackermann erhoffte sich Geld, aber er wurde umgebracht, wobei der rituelle Charakter dieses Mordes mit den zum Teil sehr martialischen Initiationsriten korrespondieren würde, die die Pique Dame praktiziert haben soll.«
»Was für Riten?«, fauchte Hinnrichs.
»Laut Briedens Informationen mussten sich interessierte Anwärter vor ihrer Aufnahme in die Organisation einer Reihe von Tests unterziehen«, erklärte Winnie. »Einer davon bestand angeblich darin, im Beisein der Führungsriege mit Kopf und Oberkörper in einen Bottich voller Eiswasser getaucht zu werden.« Sie stand auf, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, zu klein zu sein, wenn sie saß. »Dabei wurde gestoppt, wie lange es dem betreffenden Kandidaten gelang, seine Reflexe im Zaum zu halten.«
Hinnrichs verzog das Gesicht. Offenbar fragte er sich gerade, welcher seiner Kollegen sich für derart perfide Spielchen hergab.
»Laut Briedens Akten reizten sie die Sache grundsätzlich bis zum Äußersten aus«, fuhr Winnie fort, »sodass jeder Aufnahmewillige, unabhängig von seiner persönlichen Belastbarkeit, im Rahmen dieses Tests in einen Zustand akuter Todesangst geriet.«
»Scheiße«, sagte Bredeney und griff sich instinktiv an den Hals.
»Ja«, sagte Winnie. »Das Ganze ist ziemlich pervers. Aber angeblich befähigt eine solche Erfahrung den Prüfling im Anschluss daran zu besonderen Leistungen und verhilft ihm zu einer tieferen Sicht auf die Welt und ihre Mechanismen.«
»Blödsinn«, fuhr Hinnrichs dazwischen. »Sie sorgt dafür, dass er von Anfang an weiß, mit wem er sich anlegt, falls er je auf die Idee kommen sollte, querzuschießen.«
»So wie Ackermann …«, murmelte Werneuchen.
Winnie nickte. »Sein Tod ist nicht zufällig so gelaufen, wie er gelaufen ist. Er ist zugleich auch eine Warnung.«
»An wen?«, fragte Verhoeven.
»An potenzielle Mitwisser«, entgegnete Winnie. »Aber was meiner Ansicht nach das Interessanteste an der ganzen Sache ist: Ackermanns Mörder nahmen unmittelbar nach der Tat Kontakt zu einer Person in der Residenz Tannengrund auf, wo einen Tag später eine Zeugin dieser Kontaktaufnahme vier Stockwerke tief in den Tod stürzte.«
Hinnrichs, dem diese Querverbindung neu war, warf ihr einen wütenden Blick zu. »Wieso weiß ich davon nichts?«
»Ich habe selbst erst heute früh davon erfahren.« Winnie berichtete in knappen Worten von ihrem Gespräch mit Elisabeth Fersten, ohne explizit deren Namen zu nennen. »Wie schon mehrfach erwähnt, spielte sich das, worüber wir hier die ganze Zeit sprechen, Ende der Achtziger ab«, schloss sie. »Und das wiederum heißt, dass die Drahtzieher von damals inzwischen ein gewisses Alter haben müssen.«
Hinnrichs riss sich seine Designerbrille von der Nase. »Wollen Sie etwa andeuten, dass irgendein ehemaliges Mitglied der Pique Dame in Ehren ergraut in Tannengrund sitzt und von dort aus den Mord an zwei unbequemen Mitwissern gesteuert hat?«
»Als Alexander Brieden starb, war Boris Mang Mitte fünfzig«, erinnerte Winnie anstelle einer Antwort. »Wenn wir
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