Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Freiheit bedeutet, aber auch beinhaltet, dass er leer ausgeht.«
»Sie machen mich wahnsinnig«, stöhnte Hinnrichs. »Hätte, wäre, könnte, müsste … Vielleicht konzentrieren Sie sich einfach mal auf die Fakten!«
Amanda Kerrs Lächeln war von einer feinen Diskretion, sprach jedoch trotzdem Bände.
»Ackermann könnte die Morde natürlich auch selbst begangen haben«, entschied sich Winnie spontan, in puncto Spekulationen noch einen obendrauf zu setzen. »Zum Beispiel, weil ihn jemand dazu beauftragt hat.«
Bredeney zog sein pockennarbiges Gesicht in Falten. »Was denn, zu gleich drei Morden?«
»Vielleicht nur zu einem. Und Ackermann hat aus eigenem Antrieb noch zwei weitere begangen, um von dem richtigen abzulenken. Oder auch einfach, um zu üben.«
»Großer Gott, Heller!«, fuhr Hinnrichs auf. »Ihre Phantasie in allen Ehren, aber nicht alle Fälle laufen auf die gleiche Weise ab.«
Amanda Kerr registrierte die Anspielung auf den Amoklauf, mit dem Winnie Heller und ihr Kollege es vor etwas mehr als zwei Jahren zu tun gehabt hatten, mit wissend-amüsiertem Kopfnicken.
»Ist es eigentlich üblich, dass die überführten Todesengel schnelle Geständnisse ablegen?«, startete Verhoeven unterdessen den Versuch, die Diskussion auf etwas sichereren Grund zu bringen.
»Viele von ihnen«, antwortete die Psychologin. »Manche sind regelrecht stolz auf das, was sie getan haben. Andere wähnen sich doch zumindest moralisch im Recht. Manche sind erleichtert, endlich darüber reden zu können. Aber natürlich gibt es auch andere Fälle.«
Hinnrichs’ Zeigefinger schnellte vor. »Sie meinen Fälle wie Ackermann.«
»Fälle, in denen die Angeklagten beständig leugnen, die ihnen zur Last gelegten Taten begangen zu haben«, umging Amanda Kerr geschickt eine eindeutige Antwort.
»Was ist mit den Motiven?«, fragte Verhoeven. »Ich meine, außer dem genannten Mitleid.«
»Die Gründe für solche Mordserien sind so verschieden wie die Persönlichkeiten der Täter oder Täterinnen.« Dr. Kerr setzte ihre Brille wieder auf. »Größenwahn, Mitleid, Psychopathie oder schlicht Profitgier.« Ihr Blick suchte gezielt Winnie Hellers Gesicht. »Die echten Todesengel haben oft ein äußerst geringes Selbstwertgefühl und versuchen sich selbst aufzuwerten, indem sie Macht über andere ausüben. Und Herr über Leben und Tod eines anderen Menschen zu sein, ist ein ziemlich überzeugendes Machtmittel. Es gibt auch Fälle, in denen die Opfer durch gezielte Manipulationen allein aus dem Grund in Lebensgefahr gebracht werden, dass sie anschließend gerettet werden können. Das sichert den Tätern die Anerkennung von Kollegen, Ärzten und Angehörigen.« Wieder sah sie Winnie an. »Allerdings finden sich durchaus auch Motive, die nicht im psychopathologischen Bereich zu suchen sind.« Sie zuckte mit den Schultern. »Manche, die in diesem Bereich töten – übrigens durchaus auch mehrfach –, wollen durch ihre Tat vielleicht auch einfach nur einen Diebstahl vertuschen, wobei ihnen die Grundkonstellation Patient–Pfleger natürlich entgegenkommt.«
»Sie meinen das eindeutig geregelte Machtverhältnis?«, fragte Verhoeven.
Amanda Kerr nickte. »Nehmen Sie die Krankenschwester, die vierzehnhundert Euro im Monat verdient, aber schrecklich gern mal mit ihrem Freund in die Karibik fliegen würde.«
Oder nach Griechenland, ergänzte Winnie in Gedanken, doch diese Theorie hinkte gewaltig. Erstens hatte Ackermann ganz offenbar nicht vorgehabt, seine Möchtegernverlobte in seine Reisepläne einzubeziehen. Und zweitens war unklar, ob es sich überhaupt um eine Reise im klassischen Sinne gehandelt hätte oder ob ihr Mordopfer schlicht seinen Abgang vorbereitet hatte. Sie runzelte die Stirn. Ein One-Way-Ticket und ein braves Mäuschen, das sich keine Sorgen machen soll …
»Vielleicht nimmt sich die genannte Schwester zunächst nur einen Fünfzigeuroschein aus der Geldbörse einer Patientin«, führte Frau Dr. Kerr indessen ihr Beispiel weiter. »Oder aber sie steckt ein Schmuckstück ein, um es irgendwo zu verhökern. Die Versuchung zu solchen Bagatelldelikten ist in diesem Job sicher groß, zumal sich die Betreffende vielleicht einredet, dass der oder die Bestohlene ohnehin nicht mehr viel von der Sache mitbekommt. Aber dann kommt ihr irgendwer auf die Schliche, und sie läuft Gefahr, wegen einer harmlosen kleinen Goldbrosche ihren Job zu verlieren.«
Winnie Heller musterte Amanda Kerrs Gesicht und überlegte, ob die Psychologin
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