Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
meinen Teil finde, es war ausgesprochen klug von ihr, das Zeug wegzuschmeißen«, beharrte sie trotzig. »Was, wenn die Polizei ihr nicht geglaubt hätte?«
»Für den Abend, an dem Mang getötet wurde, hatte sie ein Alibi«, widersprach ihr Vorgesetzter.
»Die Frage ist, wie wasserdicht dieses Alibi gewesen wäre.« Winnie sah ihn an. »Sie wissen doch selbst, wie es in Notaufnahmen und auf Intensivstationen zugeht. Glauben Sie, da würde sich irgendwer dafür verbürgen, dass eine verhaltensauffällige Pflegekraft mit einem Spind voller geklauter Medikamente die ganz Nacht über am Bett ihrer Schwester gesessen und Händchen gehalten hat?«
»Wohl kaum«, räumte Verhoeven ein.
Na also!, dachte Winnie sarkastisch. »Und jetzt?«
»Machen Sie einen Vorschlag.«
Sie öffnete die Beifahrertür. »Ich würde gern mit Boris Mangs Witwe sprechen, wenn Sie nichts dagegen haben«, startete sie einen wohlüberlegten Vorstoß. Seit ihrem überhasteten Aufbruch hatte sie nachgedacht, wie sie sich in diesem Punkt durchsetzen konnte. Und sie wusste auch genau, was sie einer Weigerung ihres Vorgesetzten entgegenhalten würde.
Doch Verhoeven zeigte sich wider Erwarten erstaunlich willig. »Gute Idee«, sagte er. »Auch wenn mir nicht ganz klar ist, wie uns all das in Bezug auf Ackermanns Ermordung weiterbringen soll.«
Winnie verzichtete auf eine Antwort und ließ sich stattdessen auf den völlig ausgekühlten Sitz fallen.
»Ich glaube, seine Witwe hieß Felicia«, murmelte Verhoeven, der bereits sein iPhone in der Hand hielt. Er gab den Namen in die Suchmaschine ein, während Winnie neben ihm einmal mehr zu dem Schluss kam, dass sie ihren Vorgesetzten im Grunde überhaupt nicht kannte. Wann immer sie eine bestimmte Reaktion erwartete, benahm er sich völlig anders. Und das, obwohl man ihm beim besten Willen nicht unterstellen konnte, unberechenbar zu sein. Trotzdem schaffte er es immer wieder, sie zu überraschen.
Und sie hasste Überraschungen.
»Hier, das müsste es sein«, rief Verhoeven in diesem Moment und rammte das iPhone, mittlerweile zum Navi umfunktioniert, in die zugehörige Halterung an der Windschutzscheibe. »Offenbar hat sie ihren Mädchennamen wieder angenommen. Im Telefonbuch steht Mang, B. und Ott, F., aber die Adresse ist dieselbe, die ich in Erinnerung habe.«
Irgendwie makaber, den Eintrag nach dem Tod des Ehemanns nicht zu ändern, dachte Winnie befremdet, auch wenn sie wusste, dass das keine Seltenheit war. Schon weil sich viele Frauen von der scheinbaren Präsenz ihres verstorbenen Mannes einen gewissen Schutz erhofften.
»Waren Sie schon mal da?«, fragte sie, weil die Antwort sie brennend interessierte, doch ihr Vorgesetzter schüttelte den Kopf.
»Nein, ich kenne das Haus nur vom Hörensagen.«
Und das, obwohl du dem Verstorbenen doch höchstens vier-, fünfmal begegnet bist, dachte Winnie bissig.
»Es ist gar nicht weit von hier.« Verhoeven ließ den Motor an. »Nur über die Brücke.«
»Hm.«
»Alles klar?«
Das fragst du
mich? Winnie warf ihm einen empörten Seitenblick zu.
Wer hat sich denn vollkommen danebenbenommen, eben bei Ines Heider?
»Sicher. Was sollte denn sein?«
Verhoeven schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Ich fürchte, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
Entschuldigen? ER ? Bei MIR ?
Winnie wandte völlig perplex den Kopf. »Wofür?«
»Na, wegen eben.« Verhoeven schien sichtlich verlegen. »Es ist nur, dass mich das Thema Pflegeheim … Also, das lässt mich nicht ganz kalt, verstehen Sie?«
Wie immer, wenn ihr Vorgesetzter unvermittelt persönlich wurde, empfand Winnie ein gewisses Unbehagen. Am liebsten hätte sie das Thema sofort wieder fallenlassen, aber sie saßen zusammen im Auto, was bedeutete, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes auch nicht so einfach aussteigen konnte.
Das Thema Pflegeheim lässt mich nicht ganz kalt …
Sie schielte nach links. Erwartete ihr Vorgesetzter etwa von ihr, dass sie jetzt Fragen stellte? Nach dementen Angehörigen oder so was in der Richtung? Winnie blickte ratlos auf ihre Hände hinunter.
»Mein Pflegevater war in den letzten beiden Jahren auch in einem Heim«, erklärte Verhoeven nach einer Weile ungefragt. Vielleicht, weil ihm die Stille zu unbequem wurde. »Und dieses Heim … Na ja, es war nicht besonders …« Sein Räuspern klang angestrengt. »Es war wohl keine allzu gute Adresse, fürchte ich.«
»Und jetzt lebt er nicht mehr?«, fragte Winnie, die noch gewisse Mühe hatte, die Information
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