Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Moment drehte Gisela Heller sich um.
»Winnie?«
Verdammt!
»Was tust du denn hier?«
Winnie Heller sah sich hastig um und machte ihr ein Zeichen, nicht weiterzusprechen.
Ihre Mutter schüttelte verständnislos den Kopf. »Wieso … ich … was ist?«
Winnie kriegte ihren Arm zu fassen und zog sie ein Stück mit sich fort. »Ich arbeite hier, okay?« Sie senkte die Stimme. »Verdeckte Ermittlung.«
»Oh!« Gisela Heller schlug sich schuldbewusst eine Hand vor den Mund. »Das wusste ich nicht …«
Natürlich nicht! Woher auch?
Immerhin hatten sie nun schon seit Jahren nichts mehr miteinander zu tun. Winnie sah zur Pförtnerin, doch die war mit ihrem Computer beschäftigt, und auch von ihren Kolleginnen war nichts zu sehen. Gottlob!
»Du …« Ihre Mutter betrachtete sie mit einem ziemlich dümmlichen Lächeln. »Du siehst gut aus, Winnie.«
Ganz im Gegensatz zu dir, dachte Winnie Heller boshaft. Laut sagte sie: »Danke. Es geht mir auch gut.«
»Das freut mich.«
Seit dem Tod ihrer Schwester waren sie einander nur ein einziges Mal begegnet. Im vergangenen Sommer war das gewesen, an Ellis Grab. Und schon damals hatte Winnie gefunden, dass ihre Mutter alt aussah. Oder vielleicht war »verbraucht« das passendere Wort dafür.
»Und du?«, fragte sie ohne jede Freundlichkeit. »Was machst du hier?«
Einen Besuch vermutlich, gab sie sich in Gedanken zur Antwort. Irgendeine flüchtige Bekannte, um die man sich ganz unverbindlich ein bisschen kümmerte.
Doch die Antwort ihrer Mutter fiel anders aus, als sie erwartet hatte: »Ich bin auf der Suche nach einem Heimplatz für Papa.«
»Was?« Winnie starrte sie an. Ihre Mutter war kein Mensch, der Scherze machte. Schon gar nicht solche, die eine Portion schwarzen Humor erfordert hätten. Also hieß das wohl …
»Papa ist schon länger ziemlich angeschlagen, aber in der letzten Zeit geht es ihm praktisch von Tag zu Tag schlechter.« Wie zur Bestätigung dafür, dass sie eine schwere Last mit sich herumschleppte, begann Gisela Heller, ihre linke Schulter zu massieren. »Und jetzt meint der Arzt, es sei nicht länger zu verantworten, dass er zu Hause wohnt.«
»Aber …« Winnie schüttelte mit einer Mischung aus Unverständnis und Ärger den Kopf. »Was fehlt ihm denn?«
Gisela Hellers Hand hielt inne. »Papa hat Alzheimer.«
»Wie bitte?«
Sie nickte. »Es … es hat sich schon seit einer ganzen Weile abgezeichnet, nehme ich an. Aber das wollten wir natürlich nicht wahrhaben. Papa hat …« Sie schluckte geräuschvoll. »Wir haben uns vorgemacht, dass es wieder aufwärtsgehen würde irgendwann.« Ihre trüben Augen glitten an Winnie vorbei. Ins Leere. »Aber es ist nicht besser geworden. Im Gegenteil. Und jetzt geht es einfach nicht mehr weiter so.«
Winnie hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihr wegsackte. Diese Frau redete, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, ignorant und feige zu sein! Und das, nachdem ihre Eltern schon den Unfall so bemerkenswert erfolgreich verdrängt hatten. Den Unfall, ihre Schuld und sogar die Tatsache, dass ihre jüngere Tochter überlebt hatte. Dass Elli nicht sofort gestorben war in den Trümmern von Franz Hellers Mercedes, sondern dass sie noch sieben qualvolle Jahre gelebt hatte in diesem Pflegeheim, in das ihre Eltern sie abgeschoben hatten.
»Denkst du nicht, es wäre an der Zeit, mal selbst ein bisschen Verantwortung zu übernehmen?«, fragte Winnie.
Gisela Hellers Augenlid begann zu zittern. »Verantwortung? Wie meinst du das?«
»Wie ich das meine?« Winnie warf ihr einen feindseligen Blick zu. »Das kann ich dir erklären. Aber ich verstehe natürlich auch, dass man sich bedeutend leichter tut, unbelastet zum Golf oder zum Tennis zu gehen, wenn man sicher sein kann, dass sich fremde Menschen um den durchgeknallten Partner kümmern und hübsch dafür sorgen, dass er keinen Blödsinn macht.«
»Ich spiele schon lange nicht mehr«, entgegnete ihre Mutter mit einem undefinierbaren Unterton, und Winnie hätte ihr am liebsten mitten ins Gesicht geschlagen für diese Reaktion. »Weder Golf noch Tennis.«
Winnie starrte auf den Marmor zu ihren Füßen. »Wie schade für dich.«
Ihre Mutter antwortete nicht. »Ich bin ihm körperlich einfach nicht gewachsen«, bekannte sie nach einer Weile. »Leider.«
»Soll das heißen, er kann nicht mehr allein aufs Klo?«
»Doch. Schon. Aber …«
»Weißt du was?«, fiel Winnie ihr ins Wort. Wie kam sie überhaupt dazu, sich irgendwelche plumpen Rechtfertigun
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