Schneewittchen muss sterben
einem Jahr getrennt gelebt. Aber Henning hatte es immer abgestritten, bis Pia ihn und die Löblich in flagranti erwischt hatte. Hätte ihre Ehe nicht sowieso in Scherben gelegen, wäre dies das Aus gewesen. An Bodensteins Stelle würde sie Cosima niemals wieder vertrauen können, schließlich hatte sie ihn wirklich übel belogen. Eine Affäre war auch etwas anderes als ein Seitensprung, der unter gewissen Umständen verzeihlich war.
»Du solltest mit ihr reden«, schlug sie ihrem Chef vor. »Immerhin habt ihr ein kleines Kind. Und fünfundzwanzig Jahre Ehe wirft man nicht so einfach weg.«
»Ein super Ratschlag«, erwiderte Bodenstein spöttisch. »Vielen Dank. Und was denkst du wirklich?«
»Willst du das echt wissen?«
»Klar. Sonst würde ich wohl kaum fragen.«
Pia holte tief Luft.
»Wenn etwas zerbrochen ist, ist es zerbrochen. Und auch wenn man es klebt, wird es nie wieder ganz sein«, sagte sie. »Das ist meine Meinung. Tut mir leid, wenn du etwas anderes erwartet hattest.«
»Habe ich nicht.« Zu ihrem Erstaunen lächelte Bodenstein sogar, wenn auch alles andere als glücklich. »Deine Ehrlichkeit schätze ich ganz besonders an dir.«
Sein Handy meldete sich wieder. Diesmal schaute er vorher aufs Display, um sich eine weitere Überraschung zu ersparen.
»Das ist Ostermann«, sagte er und ging dran. Er lauschte ein paar Sekunden, nickte. »Rufen Sie Frau Dr. Engel an. Sie soll dabei sein, wenn wir mit ihm reden.«
»Tobias?«
»Nein.« Bodenstein atmete tief durch. »Der Herr Kultusminister ist aus der Versenkung aufgetaucht und wartet samt Anwalt auf uns.«
Sie besprachen sich vor der Tür des Verhörraumes, in den Bodenstein Gregor Lauterbach und seinen Anwalt hatte bringen lassen. Er wollte keine freundliche, zwanglose Atmosphäre; Lauterbach musste klar sein, dass er keine Sonderbehandlung zu erwarten hatte.
»Wie wollen Sie vorgehen?«, erkundigte sich Kriminalrätin Dr. Engel.
»Ich setze ihn massiv unter Druck«, erwiderte Bodenstein. »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Amelie ist jetzt seit einer Woche verschwunden, und wenn wir sie noch lebend wiederfinden wollen, können wir niemanden mehr mit Samthandschuhen anfassen.«
Nicola Engel nickte. Sie betraten den nüchternen Raum, in dem eine Wand von einer großen verspiegelten Glasscheibe eingenommen wurde. Am Tisch in der Mitte saßen Kultusminister Lauterbach und sein Rechtsbeistand, der Bodenstein und Pia bestens bekannt und, alles andere als sympathisch war. Dr. Anders verteidigte beinahe ausnahmslos Prominente, die in Mord und Totschlag verwickelt waren. Es störte ihn nicht, Prozesse zu verlieren, denn er war begierig darauf, seinen Namen in die Presse und seine Fälle möglichst vor den BGH zu bringen.
Gregor Lauterbach hatte den Ernst der Lage erkannt und gab sich auskunftsfreudig. Blass und sichtlich angeschlagen erzählte er mit leiser Stimme, was sich am
6.
September 1997 abgespielt hatte. Er hatte sich an jenem Abend mit seiner Schülerin Stefanie Schneeberger in der Scheune des Sartorius-Hofes getroffen, um ihr klarzumachen, dass er nicht vorhabe, etwas mit einer Schülerin anzufangen. Dann sei er nach Hause gegangen.
»Am nächsten Tag habe ich erfahren, dass Stefanie und Laura Wagner spurlos verschwunden waren«, sagte Lauterbach. »Jemand rief bei uns an und erzählte, die Polizei würde Stefanies Freund, Tobias Sartorius, verdächtigen, die beiden Mädchen ermordet zu haben. Meine Frau hat in unserer Mülltonne einen blutigen Wagenheber gefunden. Ich habe ihr dann gesagt, dass ich mit Stefanie gesprochen habe, weil sie mich den ganzen Abend auf der Kerb bedrängt und angemacht hatte. Uns beiden war klar, dass Tobias den Wagenheber in unsere Mülltonne geworfen haben musste, nachdem er Stefanie aus Zorn erschlagen hatte. Daniela wollte verhindern, dass ich ins Gerede komme. Sie sagte mir, ich solle den Wagenheber irgendwo vergraben. Ich weiß auch nicht, warum ich das getan habe – es war wohl eine Kurzschlussreaktion –, aber ich habe den Wagenheber in die Jauchegrube von Sartorius geworfen.«
Bodenstein, Pia und Nicola Engel hörten schweigend zu. Auch Dr. Anders sagte nichts. Die Arme verschränkt und die Lippen geschürzt, starrte er wie unbeteiligt in die gegenüberliegende Spiegelscheibe.
»Ich … ich war überzeugt, Tobias hätte Stefanie erschlagen«, sprach Lauterbach weiter. »Er hatte uns zusammen gesehen, und dann hat sie auch noch mit ihm Schluss gemacht. Indem er den Wagenheber in unsere
Weitere Kostenlose Bücher