Schneewittchen muss sterben
leuchtete. Amelie Fröhlich blinzelte geblendet. Pia stolperte die beiden Treppenstufen hinunter in den tiefer gelegenen Raum, breitete die Arme aus und zog das hysterisch schluchzende Mädchen an sich.
»Ganz ruhig«, murmelte sie und streichelte das verfilzte Haar. »Jetzt wird alles gut, Amelie. Du musst keine Angst mehr haben.«
»Aber … aber Thies«, stieß Amelie hervor. »Ich … ich glaube, er ist tot!«
Die Erleichterung bei allen Mitarbeitern der Regionalen Kriminalinspektion war gewaltig. Amelie Fröhlich hatte die zehn Tage im Keller der alten Villa in Königstein ohne größere Verletzungen überstanden. Sie war erschöpft, dehydriert und abgemagert, würde aber von den schrecklichen Erlebnissen in physischer Hinsicht keine Schäden zurückbehalten. Man hatte sie und Thies ins Krankenhaus gebracht. Um Terlindens Sohn stand es nicht so gut. Er war in sehr schlechter körperlicher Verfassung und litt unter starken Entzugserscheinungen. Bodenstein und Pia fuhren nach der Besprechung im K 11 ins Krankenhaus nach Bad Soden und staunten nicht schlecht, als ihnen im Foyer Hartmut Sartorius und sein Sohn Tobias begegneten.
»Meine Exfrau ist aus dem Koma erwacht«, erklärte Sartorius. »Wir konnten eben kurz mit ihr sprechen. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.«
»Ach, das ist ja schön.« Pia lächelte. Ihr Blick fiel auf Tobias, der um Jahre gealtert wirkte. Er sah krank aus, unter seinen Augen lagen Schatten.
»Wo sind Sie gewesen?«, wandte sich Bodenstein an Tobias Sartorius. »Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht.«
»Nadja hat ihn auf einer Berghütte in der Schweiz zurückgelassen«, erklärte Hartmut Sartorius an dessen Stelle. »Mein Sohn ist zu Fuß durch den Schnee bis ins nächste Dorf gelaufen.«
Er legte seine Hand auf Tobias' Arm.
»Ich kann noch immer nicht fassen, dass ich mich so in Nadja geirrt haben soll.«
»Wir haben Frau von Bredow verhaftet«, sagte Bodenstein. »Und Gregor Lauterbach hat gestanden, dass er Stefanie Schneeberger erschlagen hat. Wir werden in den nächsten Tagen eine Wiederaufnahme der Verfahren gegen Sie beantragen. Sie werden freigesprochen.«
Tobias Sartorius zuckte nur mit den Schultern. Es war ihm offenbar gleichgültig. Die verlorenen zehn Jahre und den Ruin seiner Familie würde auch kein nachträglicher Freispruch wiedergutmachen.
»Laura hat noch gelebt, als die drei Jungen sie in den Bodentank geworfen haben«, fuhr Bodenstein fort. »Als sie Skrupel bekamen und das Mädchen wieder herausholen wollten, hat Lutz Richter das verhindert, indem er den Tank mit Erde bedeckt hat. Er war es auch, der in Altenhain eine Bürgerwehr gegründet und dafür gesorgt hat, dass alle ihren Mund hielten.«
Tobias reagierte nicht, aber sein Vater wurde leichenblass.
»Lutz?«
»Ja.« Bodenstein nickte. »Richter hat auch den Überfall auf Ihren Sohn in der Scheune organisiert, und er und seine Frau stecken hinter den Schmierereien an Ihrem Haus und den anonymen Briefen. Sie wollten mit allen Mitteln verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Als wir seinen Sohn verhaftet haben, hat Richter sich in den Kopf geschossen. Er liegt noch im Koma, aber er wird überleben und dann zur Rechenschaft gezogen werden.«
»Und Nadja?«, flüsterte Hartmut Sartorius. »Hat sie das etwa alles gewusst?«
»Allerdings«, erwiderte Bodenstein. »Sie war Augenzeugin, als Lauterbach Stefanie erschlagen hat. Und sie hatte zuvor ihren Freunden befohlen, Laura in den Tank zu werfen. Sie hätte Tobias' Verurteilung abwenden können, aber sie hat geschwiegen. Elf Jahre lang. Als er aus dem Gefängnis kam, wollte sie mit allen Mitteln verhindern, dass er nach Altenhain zurückkehrt.«
»Aber warum?« Die Stimme von Tobias klang heiser. »Ich verstehe das nicht. Sie … sie hat mir immer geschrieben, auf mich gewartet und …«
Er verstummte, schüttelte den Kopf.
»Nadja war in Sie verliebt«, erwiderte Pia. »Aber Sie haben sie immer wieder zurückgewiesen. Es kam ihr nur gelegen, dass Laura und Stefanie von der Bildfläche verschwanden. Wahrscheinlich rechnete sie nicht damit, dass man Sie tatsächlich verurteilen würde. Als es geschah, beschloss sie, auf Sie zu warten und Sie auf diese Weise für sich zu gewinnen. Aber dann tauchte Amelie auf. Nadja empfand sie als Konkurrenz, vor allem aber als echte Bedrohung, denn Amelie hatte ja offenbar etwas herausgefunden. Sie hat sich als Polizistin verkleidet, um bei Fröhlichs nach den Bildern von Thies zu
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