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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Türritze geklebt. Wieso das denn wohl?«
    Der Königsteiner Kollege ging auf die Knie und ritzte mit seinem Taschenmesser das Silikon auf. Pia rüttelte an der Tür, bis sie aufsprang. Das Rauschen wurde lauter. Fünf oder sechs flinke Schatten huschten an ihr vorbei und verschwanden in den Tiefen des Hauses. »Ratten!« Bodenstein machte einen Satz nach hinten und prallte so heftig gegen den Streifenbeamten, dass dieser fast zu Boden gegangen wäre.
    »Deswegen müssen Sie mich ja nicht gleich k.o. schlagen«, beschwerte sich der uniformierte Kollege. »Sie können jetzt auch von meinem Fuß runtergehen.«
    Pia hörte ihnen nicht zu. Sie war in Gedanken ganz woanders.
    »Wieso wurde die Kellertür mit Silikon abgedichtet?«, fragte sie sich laut, als sie die Treppe hinunterstieg und dabei mit der Taschenlampe vorausleuchtete. Nach zehn Stufen blieb sie wie angewurzelt stehen.
    »Scheiße!«, fluchte sie. Sie stand bis an die Knöchel im eisigen Wasser. »Ein Wasserrohrbruch! Deshalb auch der Kurzschluss. Wahrscheinlich sitzt der Stromkasten unten.«
    »Ich rufe beim Wasserwerk an«, sagte einer der Königsteiner Polizisten. »Die müssen die Hauptwasserleitung abdrehen.«
    »Und am besten alarmieren Sie auch gleich die Feuerwehr.« Bodenstein hielt argwöhnisch Ausschau nach weiteren Ratten. »Komm, Pia. Die Lauterbach ist nicht hier.«
    Pia hörte nicht auf ihn. In ihrem Kopf schrillten alle Alarmglocken. Das Haus stand leer und gehörte Daniela Lauterbach, die in der vergangenen Woche plötzlich lang geplante Besichtigungstermine mit potentiellen Käufern abgesagt hatte. Und das nicht deshalb, weil sie selbst sich in diesem Haus verstecken wollte! Da ihre Schuhe und ihre Hose ohnehin schon nass waren, ging Pia die Treppe weiter hinunter. Das Wasser gluckerte, die Kälte traf sie wie ein Schock.
    »Was tust du denn da?«, rief Bodenstein ihr nach. »Komm da raus!«
    Pia bückte sich und leuchtete um die Ecke in die Dunkelheit. Das Wasser reichte knapp einen Viertelmeter unter die Kellerdecke. Pia ging noch eine Stufe hinunter, klammerte sich mit einer Hand am Geländer fest. Jetzt stand sie bis an die Hüften im Wasser.
    »Amelie!«, rief sie mit klappernden Zähnen. »Amelie? Hallo?«
    Sie hielt den Atem an und lauschte angestrengt, die Kälte trieb ihr die Tränen in die Augen. Plötzlich erstarrte sie. Ein Adrenalinstoß zuckte so heftig durch ihren Körper, als habe man ihr einen Stromschlag versetzt.
    »Hilfe!«, tönte es über das gleichmäßige Rauschen des Wassers. »Hilfe! Wir sind hier!«
    Ungeduldig rauchend ging Pia in der Eingangshalle auf und ab. Sie spürte die nassen Kleider und Schuhe kaum, so aufgeregt war sie. Bodenstein zog es vor, im Schneefall vor dem Haus zu warten, bis der überflutete Keller endlich zugänglich war. Der Gedanke, sich mit einer Armada von Ratten unter einem Dach aufhalten zu müssen, verursachte ihm Unbehagen. Das Wasserwerk hatte die Hauptwasserleitung abgestellt, und die Männer der Königsteiner Freiwilligen Feuerwehr pumpten mit allen verfügbaren Schläuchen das Wasser aus dem Keller hangabwärts in den zugewucherten Park. Dank eines Notaggregates gab es Licht. Drei Notarztwagen waren eingetroffen, die Polizei hatte das Grundstück abgesperrt.
    »Alle Lichtschächte, durch die das Wasser hätte ablaufen können, sind verstopft und mit Silikon abgedichtet worden«, berichtete der Einsatzleiter der Feuerwehr. »Unglaublich.«
    Aber wahr. Es gab für Bodenstein und Pia keinen Zweifel, wer das getan hatte.
    »Wir können reingehen!«, verkündete einer der Feuerwehrleute, der wie zwei seiner Kollegen eine wasserdichte Hose trug, die ihm bis zum Bauchnabel reichte.
    »Ich gehe mit!« Pia warf ihre Zigarette achtlos auf den Parkettfußboden und trat sie aus.
    »Nein, bleib hier!«, rief Bodenstein von der Tür aus. »Du holst dir doch den Tod!«
    »Ziehen Sie wenigstens Gummistiefel an.« Der Einsatzleiter wandte sich um. »Warten Sie, ich hole Ihnen welche.«
    Fünf Minuten später folgte Pia den drei Feuerwehrleuten durch das noch immer kniehoch stehende Wasser durch den Keller. Im Licht der Handscheinwerfer öffneten sie eine Tür nach der anderen, bis sie die richtige gefunden hatten. Pia drehte den Schlüssel im Schloss und drückte gegen die Tür, die mit einem durchdringenden Quietschen nach innen aufschwang. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und sie bekam vor Erleichterung weiche Knie, als der Lichtkegel des Scheinwerfers in ein blasses, schmutziges Mädchengesicht

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