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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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allerdings keine Sekunde daran, wie die Einwohner des Dorfes urteilen würden, egal, ob er ein Alibi hatte oder nicht. Ihr ungutes Gefühl verstärkte sich, als sie die angegebene Adresse von Arne und Barbara Fröhlich erreicht hatten. Das Haus lag nur wenige Meter von der rückwärtigen Ausfahrt des Sartorius-Hofes entfernt. Sie hielten vor der hübschen, verklinkerten Villa mit tiefgezogenem Walmdach und mehreren Gauben. Die Eltern erwarteten sie bereits. Arne Fröhlich war seinem Nachnamen zum Trotz ein ernsthaft wirkender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren mit Stirnglatze, dünnem, sandfarbenem Haar und einer stahlgefassten Brille. Sein Gesicht zeichnete sich durch das Fehlen jeglicher markanter Merkmale aus. Er war weder dick noch dünn, mittelgroß und sah so durchschnittlich aus, dass es schon wieder ungewöhnlich war. Seine Frau, höchstens Anfang dreißig, war das völlige Gegenteil, nämlich ausgesprochen attraktiv. Mittelblonde, glänzende Haare, ausdrucksvolle Augen, regelmäßige Gesichtszüge, ein breiter Mund, eine leichte Stupsnase. Was fand sie wohl an ihrem Mann?
    Beide waren besorgt, aber sehr beherrscht, keine Spur von der Hysterie, die Eltern von verschwundenen Kindern normalerweise an den Tag legen. Barbara Fröhlich gab Pia ein Foto. Amelie war offenbar auch eine auffällige Erscheinung, wenn auch sicher nicht im Sinne ihrer Mutter: Die großen, dunklen Augen waren stark mit Kajal und Eyeliner betont, sie trug mehrere Piercings in Augenbrauen, Unterlippe und in der Kinngrube. Das dunkle Haar hatte sie aufwendig toupiert und so fixiert, dass es wie ein Brett von ihrem Kopf abstand. Unter dieser Maskerade war Amelie ein hübsches Mädchen.
    »Sie ist schon öfter ausgerissen«, erwiderte ihr Vater gerade auf Bodensteins Frage, weshalb er seine Tochter erst relativ spät als vermisst gemeldet hatte. »Amelie ist meine Tochter aus erster Ehe und etwas … hm … schwierig. Vor einem halben Jahr haben wir sie zu uns genommen, vorher lebte sie bei meiner Exfrau in Berlin, und da hatte sie auch große Probleme mit … der Polizei.«
    »Inwiefern?«, fragte Bodenstein. Die Antwort war Arne Fröhlich sichtlich unangenehm.
    »Ladendiebstahl, Drogen, Hausfriedensbruch und Landstreicherei«, zählte er auf. »Sie war manchmal wochenlang verschwunden. Meine Exfrau war irgendwann völlig überfordert und bat mich, Amelie zu mir zu nehmen. Deshalb haben wir erst einmal herumtelefoniert und abgewartet.«
    »Aber dann ist mir aufgefallen, dass sie keine Kleider mitgenommen hat«, ergänzte Barbara Fröhlich. »Nicht einmal das Geld, das sie beim Kellnern verdient hat. Das fand ich seltsam. Und ihren Ausweis hat sie auch hiergelassen.«
    »Hatte Amelie Streit mit jemandem? Gab es Probleme in der Schule oder mit Freunden?«, ging Bodenstein die üblichen Fragen durch.
    »Nein, ganz im Gegenteil«, antwortete die Stiefmutter. »Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie sich in der letzten Zeit zu ihrem Vorteil verändert hatte. Sie trug die Haare nicht mehr so wild und hat sich bei mir Kleider ausgeliehen. Normalerweise trägt sie ausschließlich schwarze Kleidung, aber auf einmal zog sie einen Rock an und eine Bluse …« Sie verstummte.
    »Steckt hinter dieser Veränderung vielleicht ein Junge?«, forschte Pia. »Es könnte ja sein, dass sie jemanden im Internet kennengelernt hat und zu ihm hingefahren ist.«
    Arne und Barbara Fröhlich wechselten einen ratlosen Blick und zuckten mit den Schultern.
    »Wir haben ihr viel Freiheit gelassen«, sagte nun wieder der Vater. »Amelie war auch in letzter Zeit sehr zuverlässig. Mein Chef, Herr Terlinden, hatte ihr einen Kellnerjob im Schwarzen Ross vermittelt, weil sie eigenes Geld verdienen wollte.«
    »Schulische Probleme?«
    »Sie hat nicht viele Freundinnen«, antwortete Barbara Fröhlich. »Sie ist gerne für sich. Über die Schule hat sie nicht viel geredet, sie ist ja erst seit September dort. Der Einzige, mit dem sie regelmäßigen Kontakt pflegt, ist Thies Terlinden, der Sohn der Nachbarn.«
    Für einen Moment presste Arne Fröhlich die Lippen zusammen. Es war ihm anzusehen, dass er diese Freundschaft nicht billigte.
    »Was meinen Sie damit?«, hakte Pia nach. »Sind die beiden ein Paar?«
    »O nein«, Barbara Fröhlich schüttelte den Kopf. »Thies ist … nun ja … anders. Er ist Autist, lebt bei seinen Eltern und kümmert sich dort um den Garten.«
    Auf Bodensteins Bitte führte Barbara Fröhlich sie in Amelies Zimmer. Es war groß und freundlich mit

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