Schneewittchen-Party
das, typisch?«
»Angeberei« sagte Leopold und bog, vor Konzentration laut schnaufend, ein Stück Draht rund. »Sie war wahnsinnig blöd«, fügte er hinzu. »Sie sagte das blödeste Zeug, bloß damit die Leute sie beachteten.«
»Du glaubst, dass sie alles erfunden hat?«
Leopold ließ seinen Blick zu Mrs Oliver wandern.
»Ich nehme an, sie wollte auf Sie Eindruck machen«, sagte er. »Sie schreiben Kriminalromane, nicht? Ich glaube, sie gab nur an, damit Sie mehr auf sie achten sollten als auf die andern Mädchen.«
»Das war typisch für sie, nicht wahr?«, sagte Poirot.
»O ja, die hätte sonstwas gesagt«, sagte Leopold. »Aber trotzdem hat ihr bestimmt niemand geglaubt.«
Sehr viel mehr schien man aus Leopold nicht herausfragen zu können. So gingen sie nach oben, wo Ann, die älter aussah als sechzehn, über einen Tisch voller Bücher gebeugt saß.
»Ja, ich war bei dem Kinderfest«, sagte sie.
»Und Sie haben gehört, wie Ihre Schwester etwas über einen Mord, den sie gesehen haben will, erzählt hat?«
»O ja, aber ich hab nicht weiter drauf geachtet.«
»Sie haben nicht angenommen, dass es stimmte?«
»Natürlich stimmte es nicht. Hier hat es seit Ewigkeiten keinen Mord gegeben.«
»Warum, glauben Sie, hat sie es dann gesagt?«
»Oh, sie gibt gern an. Ich meine, sie gab gern an. Einmal hat sie eine herrliche Geschichte erzählt über ihre Reise nach Indien. Mein Onkel hatte eine Schiffsreise dorthin gemacht, und sie tat so, als wenn sie dabei gewesen wäre. Viele Mädchen in der Schule glaubten ihr auch wirklich.«
»Sie erinnern sich also nicht, dass in den letzten paar Jahren hier jemand ermordet wurde?«
»Nein, jedenfalls nicht hier. Ich entsinne mich nur an das Übliche, was man in der Zeitung so liest, und das ist meist in Medchester passiert, nie in Woodleigh Common.«
»Wer hat Ihrer Meinung nach Ihre Schwester ermordet, Ann? Sie müssen doch ihre Freunde gekannt haben und wissen, wer sie nicht leiden konnte.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wer sie umbringen wollte. Ich nehme an, es war jemand mit einem leichten Dachschaden. Jemand anders kommt doch gar nicht infrage.«
»Es gab niemand, der Streit mit ihr hatte oder sich nicht mit ihr vertrug?«
»Sie meinen, ob sie einen Feind hatte? Das ist doch blöd. Man hat keine Feinde. Es gibt nur Leute, die man nicht mag.«
Als sie das Zimmer verließen, sagte Ann: »Ich will nichts Hässliches über Joyce reden, denn sie ist tot, aber sie war wirklich furchtbar verlogen. Es tut mir leid, dass ich etwas Schlechtes über meine Schwester sage, aber es stimmt.«
»Machen wir eigentlich Fortschritte?«, fragte Mrs Oliver, als sie das Haus verließen.
»Nicht die geringsten«, erklärte Hercule Poirot. »Und das ist sehr interessant.«
Mrs Oliver sah aus, als sei sie nicht seiner Meinung.
8
I n Haus Pinienhügel schlug die Uhr sechs. Hercule Poirot steckte ein Stück Wurst in den Mund und spülte es mit einem Schluck Tee hinunter. Der Tee war stark und für Poirot ganz besonders ungenießbar. Die Wurst dagegen war köstlich. Er warf einen anerkennenden Blick über den Tisch zu Mrs McKay, die die große braune Teekanne gerade abstellte.
Elspeth McKay war ihrem Bruder, Superintendent Spence, so unähnlich, wie man nur sein konnte. Ihr scharfes, schmales Gesicht sah mit kluger Skepsis in die Welt. Sie war dünn wie ein Bindfaden, und doch gab es gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihnen. Hauptsächlich die Augen und den markanten Unterkiefer. Auf beide, dachte Poirot, war, was Urteil und Vernunft betraf, Verlass. Spence sprach langsam und sorgfältig, nachdem er nachgedacht und gut überlegt hatte. Mrs McKay packte gleich zu, schnell und scharf.
»Es hängt sehr viel von dem Charakter des Kindes ab«, sagte Poirot. »Joyce Reynolds. Das macht mir das meiste Kopfzerbrechen.« Er sah Spence fragend an.
»Ich kann Ihnen da nichts sagen«, antwortete Spence. »Ich wohne hier noch nicht lange genug. Fragen Sie lieber Elspeth.«
Poirot sah mit fragend erhobenen Augenbrauen über den Tisch. Mrs McKay war, wie immer, sofort mit ihrer Antwort da.
»Ich finde, sie war eine richtige kleine Schwindlerin«, sagte sie.
»Kein Mädchen, dem man glauben konnte?«
Elspeth schüttelte den Kopf mit Entschiedenheit.
»Nein, wirklich nicht. Erzählte tolle Geschichten, aber sie erzählte sie so gut, das muss man sagen. Aber ich hätte ihr nie geglaubt.«
»Und sie erzählte diese Geschichten nur, um beachtet zu werden?«
»Ja, richtig. Sie
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