Schneewittchens Tod
Mensch, von uns gegangen, ohne eine letzte Beichte ablegen zu können …«, murmelte der Priester.
»Apropos, er hatte mir gesagt, er wüsste etwas über den Mord an dem Welpen der Osmonds.«
Dubois hob den Kopf, und seine kleinen Augen fixierten Chib.
»Was wollen Sie damit andeuten?«
»Nichts. Ich stelle nur einen Zusammenhang zwischen den beiden Vorfällen her, das ist alles. Ich bin heute Morgen gekommen, um mit ihm zu sprechen. Und er ist tot.«
»In diesem Fall sind auch Sie in Gefahr«, sagte der Priester und tippte Chib mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Wissen Sie, wenn die Dämonen einmal frei sind, sind sie nicht zimperlich. Das Böse nährt sich aus sich selbst, wie ein Feuer, das alles verschlingt. Wie geht es Blanche?«
Chib war aus der Fassung gebracht.
»Wie immer, glaube ich.«
»Ich habe Ihnen keine Ratsschläge zu geben, Moreno, aber ich glaube nicht, dass im Herzen meiner Cousine Platz für einen anderen Mann als den ihren ist.«
»Aber ich .«
Der Priester klopfte ihm auf die Schulter und entfernte sich eiligen Schrittes. Chib rang nach Luft und blieb neben seinem Wagen stehen. Er musste, ohne es zu bemerken, transparent geworden sein. Alle anderen sahen, wie sich das Räderwerk seines kleinen überanstrengten Gehirns drehte, wie sein misshandeltes Herz schmerzhaft schlug, wie seine überreizten Nerven streikten. Er stieg in den Floride, schlug die Tür hinter sich zu und fuhr mit quietschenden Reifen davon; Telepopmusik dröhnte auf voller Lautstärke Love can damage your health.
Die Beine bequem vor sich ausgestreckt, schlürfte Greg seinen mittäglichen Pastis und sah den Passantinnen nach. Chib betrachtete sein Perrier mit einer Zitronenscheibe. Er hätte nicht herkommen sollen, er hatte keine Lust zu reden. Aber er hatte auch keine Lust gehabt, zu Hause zu bleiben, und Gregs unerwarteter Anruf war eine willkommene Gelegenheit gewesen, seinem Zimmer zu entfliehen, das von der Erinnerung an Blanches Körper erfüllt war.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte Greg und nahm einen fettigen Chip nach dem anderen aus dem kleinen Schälchen.
»Was meinst du?«
»Na, mit dem toten Gärtner und all dem.«
»Ich nehme an, die Polizei wird eine Untersuchung einleiten.«
Chib griff nach einer Olive, er schien zu zweifeln.
»Mann, du machst ein Gesicht, als hättest du weichen Schanker«, sagte er schließlich. »Ist es deine Blanche, die dir so zusetzt?«
»Hör auf.«
»Verdammt noch mal, Chib, diese Schlampe hat dich voll im Griff!«
»Nenn sie nie wieder Schlampe, hörst du?«
»Aber sieh dich doch mal an, Mensch! Du warst nie besonders witzig, aber jetzt brichst du alle Rekorde. Scheiße, Mann, wenn das der Erfolg der Liebe ist, kann einem wirklich die Lust vergehen.«
»Sie liebt mich nicht.«
»Warum sollte sie dich lieben? Sie ist verheiratet, wenn ich dich daran erinnern darf, mein Junge, sie leistet sich eine kleine Affäre, das ist alles. Kannst du nicht einfach wie alle anderen auch deinen Orgasmus haben, ohne dass die Geschichte gleich so nervig wird wie bei Bergmann?«
»Hast du überhaupt schon mal einen Film von Bergmann gesehen?«
»Ja, mindestens eine Viertelstunde, während ich auf die Fußball-WM gewartet habe.« »Na, und Aicha?«, fragte Chib und hielt sein Perrierglas umklammert.
»Was, Aicha? Wir verstehen uns gut, wir gehen zusammen ins Bett und fertig.«
»Und was empfindest du für sie?«
»Keine Ahnung«, protestierte Greg und leerte sein Glas. »Ich gucke nicht die ganze Zeit in meinen Kopf rein. Also, gehen wir nun essen?«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Du lieber Himmel, jetzt spielt er den total Deprimierten! Du musst essen, Junge, Essen ist wenigstens etwas Reales.«
»Du solltest Ratschläge im Herzenskurier geben. Die Selbstmordraten würden rapide ansteigen, das würde wenigstens Platz schaffen.«
Greg hatte sich erhoben und reckte sich.
»Hör auf mit dem Quatsch. Los, ich lade dich ein. Ragout mit Polenta.«
Chib seufzte. Ragout mit Polenta. Warum nicht? Ob er das auskotzte oder etwas anderes .
Es musste gegen sechzehn Uhr sein. Er lag auf seinem Futon und starrte an die Decke, wo eine kleine Fliege tanzte. Er versuchte, sich zu entspannen, Ragout und Polenta lagen ihm im Magen wie ein zu schwerer Koffer, von dem er nicht wusste, wohin damit. Nein, es war nicht das Ragout, es war Blanche, ein Stein an seinem Hals, der ihn in den Abgrund zog und ihn am Atmen hinderte. Liebe ich sie?, fragte er sich plötzlich und richtete sich auf.
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