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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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War das Liebe? Verdammt, woher sollte er das wissen? Er war immer ein Einzelgänger gewesen. Liebevoll, aber nicht wirklich verliebt. Nein, das konnte es nicht sein, denn … wer wollte schon einen solchen Schmerz erfahren? Er irrte sich. Sein Ego litt, das war alles. Er war in seiner Männlichkeit verletzt.
    Er legte sich wieder hin. Die Fliege klebte an dem Dachfenster, wünschte sich verzweifelt, an das unerreichbare Licht zu gelangen. Dein eigener Klon, Chib, besessen und von vornherein ein Verlierer.
    Das Telefon. Er sprang auf, ließ in seiner Hast den Hörer fallen, konnte ihn aber noch auffangen.
    Keuchender Atem. Nein, zwei unterschiedliche Atemgeräusche. Stoßweise. Irgendwelche kleinen Idioten, die sich einen Scherz erlaubten. Er wollte gerade auflegen, als eine Frau stöhnte. Ein Säurestrahl, der seine Speiseröhre überflutete. Erneutes Stöhnen. Lang. Der raue Atem eines Mannes. Rhythmisch. Chib hatte den Eindruck, er würde den Hörer jeden Augenblick zerdrücken. Die Frau schrie leicht auf, jener unterdrückte, erstickte Schrei, den er letzte Nacht bei ihr gehört hatte. Dann das Rascheln der Laken. Feuchte Körper, die sich aneinander rieben. Das typische Knistern einer Zigarette, die angezündet wurde. Und dann Stille.
    Er versuchte zu hören, ob jemand am anderen Ende der Leitung war oder ob die Bandaufnahme einfach zu Ende war. Ein Klicken. Dann: »Nein, das tut weh, nein!«
    Was war das jetzt?
    Die Stimme eines kleinen Mädchens. Er spürte, wie sich Schweiß auf seiner Oberlippe bildete und wischte ihn ab.
    »Nein, nein, nein!«
    Annabelle? Eunice? Nein, das war nicht ihre Stimme. Also … Elilou, mein Gott, es war Elilou. Sie schluchzte, und wieder hörte man rhythmisches Atmen, eins, zwei, eins, zwei, immer schneller.
    Das Telefon ans Ohr gepresst, lief er zum Spülbecken und entledigte sich der Ragout-Reste, während der Vergewaltiger sein Werk fortsetzte und plötzlich ohrenbetäubend das Halleluja von Händel ertönte.
    Er spritzte sich mit einer Hand Wasser ins Gesicht und wischte es ungeschickt mit dem Küchentuch ab, während die verfluchte Musik in seinen Ohren explodierte, dann ein Klick und Stille. Verstört betrachtete er den Hörer, er spürte, wie ihm der Schweiß in Strömen über den Rücken lief, den widerwärtigen Geschmack in seinem Mund. Seine Gedanken prallten aufeinander wie Gestirne, die aus der Bahn geraten sind. Die Schreie des Kindes. Der Mann und die Frau, die sich liebten. Blanches Stöhnen, Blanches leiser Schrei. Mit Andrieu? Mit ihm, Chib? Er hatte sich nie bei der Liebe zugehört, woher sollte er es also wissen? Die eine Hypothese war so unerfreulich wie die andere. Denn er ertrug es nicht, zuzuhören, wie Blanche mit einem anderen schlief, da war es ihm schon lieber, dass man sie aufgenommen hatte, als er sich wie ein Dieb eingeschlichen hatte. Oder schlimmer noch, Blanche erdrückt von dem Gewicht des Mannes, der ihre Tochter vergewaltigt hatte?
    Er bemerkte, dass er noch immer den Telefonhörer in der Hand hielt, und legte ihn auf die Gabel zurück. Er spülte sich erneut den Mund aus. Er musste Blanche warnen, dass in ihrem Schlafzimmer vielleicht ein Abhörgerät versteckt war, einer dieser winzigen Apparate, die sich bei Stimmengeräuschen einschalten. Und Gaelle saß in Nizza bei ihrem Examen fest. Er zog seine Schuhe an, griff nach der Jacke und ging hinaus.
    »Ich muss mit Blanche sprechen.«
    Aicha riss die Augen auf und legte den Finger auf die Lippen.
    »Bist du verrückt? Nicht so laut! Belle-Mamie und Dubois sind da. Sie bereiten das Wohltätigkeitsfest zum Johannistag vor.«
    »Gib ihr diskret Bescheid.«
    »Aber das geht nicht! Was ist denn los?«
    »Ich muss mit ihr sprechen, das ist alles. Oder ich gehe in ihr Zimmer.«
    »He, du spinnst wohl! Greg sagt, du hättest einen Knall, und so langsam glaube ich, er hat Recht. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn dich jemand in ihrem Zimmer findet?«
    »Sind die Kinder da?«
    »Ja.«
    »Aicha … Ah, Moreno!«
    Dubois war auf dem Flur aufgetaucht.
    »Monsieur Andrieu hat uns gebeten, unsere Recherchen fortzusetzen«, sagte Chib steif.
    »Ich weiß, ich weiß. Aicha, das Telefonbuch bitte. Wir stellen gerade eine Liste mit den Personen zusammen, die wir zum Johannisfest einladen wollen«, erklärte er, an Chib gewandt.
    »Wenn Sie erlauben …«, sagte Chib und deutete mit einer ausholenden Geste auf die Halle und die Treppe.
    »Natürlich. Aber sagen Sie, haben Sie etwas gefunden?«
    »Nein,

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