Schneewittchens Tod
wollte. Feuchte, leicht geöffnete Lippen an seiner Halsbeuge. Der Christus betrachtete sie, das Blut rann über seine eingefallenen Wangen. Chib liebkoste zärtlich Blanches Rücken, ihre Hüften. Sie schlang die Arme um seinen Hals, zog ihn heftig an sich. Sie waren verloren. Das Wasser der zerbrochenen Vase hatte sich auf den Fliesen ausgebreitet, sie legten sich in das Wasser, in die Blumen, in die Glasscherben, während Elilou weiter starb. Sie legten sich hin, stammelten, umschlangen sich und schlossen die Augen.
In dem Augenblick, als sie den Mund zum Schrei öffnen wollte, legte Chib seine Hand darauf, und sie biss ihn noch einmal, heftig bis aufs Blut, während er sich in ihr befreite und sie ihre Schenkel so fest um ihn legte, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Eine Weile blieben sie noch so aneinander geschweißt liegen, ganz damit beschäftigt, zu atmen und wieder aufzutauchen.
O mein Gott, sagte er sich, als er wieder zu sich gekommen war und seine Kleider in Ordnung brachte, was hatten sie getan? Jemand hätte sie überraschen können, an diesem heiligen Ort, vor dem Sarg ihres Kindes. Halb kniend zog er den Rock über ihre nackten Schenkel, und sie warf ihm einen verschwommenen Blick zu. Sie war weich und hingegeben, ohne Reaktion.
»Blanche! Blanche, wir müssen hier raus.«
»Um wohin zu gehen?«
»Wir müssen weg, es ist zu gefährlich. Steh auf und komm!«
»Ich will schlafen. Ich mag diesen Ort, ich mag den Geruch des Bodens.«
»Blanche! Stell dir vor, wir werden entdeckt!«
»Glaubst du, man würde dich lynchen? Ich würde hinter den Gitterstäben meines Fensters sitzen und zusehen, wie sie dich hängen.«
Chib fasste sie unter den Armen und zog sie hoch. Sie ließ sich zurückfallen, und er fing sie gerade noch auf. Da, ihr weißer Slip am Boden. Ohne sie loszulassen, bückte er sich, hob ihn auf und stopfte ihn in seine Tasche. Sie hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht.
Die Tür, die verdammte Tür am Ende der Welt.
»Ah, da seid ihr ja … Aber was ist …!«
»Sie hatte einen Schwächeanfall, ich wollte Sie gerade rufen.«
Andrieu kam zu ihnen gelaufen, und Chib übergab Blanche in seine Arme. Roch sie nach Sperma, war sein Hosenschlitz zu?
»Ich habe etwas gehört«, improvisierte er weiter, wohl wissend, dass er schweißüberströmt war - Gott sei Dank trug sie keinen Lippenstift. »Ich habe sie bei Elilou stehen sehen, sie schien zu weinen, und plötzlich ist sie zusammengebrochen.«
Blanche stieß einen Laut aus, den man als Schluchzen oder Lachen deuten konnte, dachte er und nagte an der Unterlippe. Nein, sie würde wohl doch nicht anfangen zu lachen!
»Geht es, mein Liebling?«, fragte Andrieu und hielt seine Frau in den Armen.
»Soll ich Ihnen helfen, sie ins Haus zu tragen?«, fragte Chib.
»Nein, es wird schon gehen. Sie kommt wieder zu sich.«
Blanche sah sie in der Tat an. Sie richtete sich auf, stützte sich auf Andrieus Arm.
»Es ist vorbei, nur ein Schwindel, ich weiß nicht …«, sagte sie und legte eine Hand an die Stirn.
»Glücklicherweise hat Monsieur Moreno dich gesehen, du hättest dir im Fallen wehtun können!«, meinte Andrieu fürsorglich. »Eines muss ich sagen«, fügte er, an Chib gewandt, hinzu: »Sie sind immer im richtigen Augenblick da!«
Er erkannte deutlich das leichte Lächeln von Blanche, ein angewidertes Lächeln.
»Ich gebe Aicha Bescheid, sie soll sauber machen«, sagte er und deutete mit dem Kinn auf die zerbrochene Vase.
Ein Wunder, dass wir uns nicht geschnitten haben, dachte Chib, ja, ein Wunder, aber das war ja auch der ideale Ort für Wunder, oder?
Andrieu hatte seine Frau untergehakt und trat mit ihr hinaus, Chib hinter ihnen, ehrloser Trauzeuge einer eigenartigen Hochzeit.
INTERMEZZO 6
Nicht das Feuer nicht das Wasser nicht die Erde nicht der Wind Nur das Eis
das immer wieder, immer noch meine Gedärme verbrennt Ich möchte ich möchte
Doch niemand interessiert sich dafür Deshalb muss ich ich muss
Um nicht zu zerspringen wie eine Vase wenn jemand lacht
KAPITEL 17
Nachdem Blanche sich zurückgezogen hatte, um sich frisch zu machen für die Besprechung mit Dubois und Belle-Mamie, lud Andrieu Chib zu einem Glas in der Bibliothek ein.
»Glauben Sie, dass Costa ermordet wurde?«, fragte er geradeheraus, während er Chib eine Zigarre anbot, die dieser mit einer Handbewegung ablehnte.
»Ich habe mir diese Frage natürlich auch gestellt«, entgegnete Chib vorsichtig.
»Er hatte vielleicht
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