Schneewittchens Tod
fah'e ich diesen Sommer ins Disneyland!«, sagte sie unvermittelt.
»Was heißt das, ganz lieb sein?«, fragte Chib, der hellhörig geworden war.
»Und Bunny kommt auch mit, Mickymaus anschauen!«
»Ich dachte, er ist weg.«
»Du bist dumm!«
Zumindest ein Punkt, in dem sich alle einig waren.
»Wenn ich ganz lieb bin, kommt e' wiede'.«
»Wie machst du es, sehr lieb zu sein«, beharrte er.
Sie schloss plötzlich die Augen, presste die Lippen zusammen, und er sah, wie sich ihre Finger fest in den Delphin krallten und ihn fast zu einer Kugel quetschten. Er spürte, wie sich seine eigenen Finger um die Sessellehne klammerten.
»Und weiß deine Maman Bescheid?«, fuhr er leise fort.
Ein letztes krampfartiges Umklammern des Delphins, dann rannte sie weg. Beinahe wäre er ihr nachgelaufen, aber wozu?
Sie würde nicht mehr sagen. Er ließ sich wieder in den Sessel fallen. Dachte er wirklich das, was er dachte? Der pädophile Kontext schien sich zu bestätigen. War Costa der Folterknecht der Kinder gewesen? Bis eines von ihnen ihm den Schädel mit einem Stein eingeschlagen hatte? Schließlich hatte er das Brett vom Brunnen weggenommen. Und er hatte behauptet, etwas über den Mord an dem Welpen zu wissen. Aber wer konnte beweisen, dass das stimmte? Vielleicht wollte er nur den Verdacht von sich selbst ablenken. Nein, Chib, nein, wenn Costa, und nur Costa, die Kinder missbraucht hätte, könnte dir Eunice heute nicht sagen, dass sie, wenn sie ganz lieb wäre, nach Disneyland fahren würde. Aber wusste Eunice denn, dass Costa tot war? Was verstand sie überhaupt vom Tod?
Und nebenbei, wo war Bunny? Hatte man ihn ihr weggenommen, um sie zu bestrafen, weil sie die Annäherungsversuche abgewehrt hatte? Wann war Bunny verschwunden? Vor oder nach Costas Tod? Mein Gott, Chib, ist dir eigentlich klar, dass du dabei bist, im Fall eines verschwundenen Plüschhasen zu ermitteln? Wenn andererseits Bunny vom Teufel besessen wäre, würde das alles erklären. Denn in Wirklichkeit war er es, der nachts aufstand, um die Andrieu-Kinder zu vergewaltigen. Um Elilous Leiche zu stehlen. Vielleicht vernaschte er ja auch Blanche, dieser Bunny, und schüttelte dabei seine langen Ohren iiiaaa, der Esel bist du, Chib, der glückselige Esel, das Kamel vom Dienst. Stopp. Ruhe. Entspannen. Eine wohl dosierte Seerosen-Infusion, genau das brauchte er jetzt. Zen und Meditation.
Er sprang auf, trank seinen Cognac aus und stellte sich vor das Foto, das besudelt worden war. Er betrachtete die lächelnden Gesichter. Wie eine Werbung für Ehe und Familie. Als hätte es die Bildunterschrift: Macht es wie wir, seid gesund und glücklich. Aber das Sperma auf der Rückseite hatte eine andere Nachricht hinterlassen: Macht es wie wir, versteckt eure Wunden.
Wie um sich zu vergewissern, drehte er das Bild um. Die Rückseite war sauber. Wenn er nur wüsste, wer dort masturbiert hatte. Das passte im Übrigen nicht zu seiner Hypothese der Pädophilie. Wenn jemand eines oder mehrere Kinder missbrauchte, warum sollte er noch dazu auf ihr Foto masturbieren? Oder aber . John Osmond, der das unerreichbare Objekt seiner Begierde betrachtete? Schwer vorstellbar, wie sich der dicke Kerl hastig befriedigte, während Belle-Mamie mit Clotilde plauderte. Und du, Chib, solltest du dir nicht zum eigenen Gebrauch einen Abzug machen lassen, du weißt schon, wenn du nachts aufwachst und das Kopfkissen umklammerst, als wäre es Blanches Becken?
Er stellte es angewidert zurück auf den Sekretär. Eine kleine Partie Billard, um seine Nerven zu beruhigen? Er legte die Kugeln auf dem grünen Tuch zurecht und konzentrierte sich auf den ersten Effet. Das Geräusch, das sie beim Auseinanderrollen machten, auch das der 8, als sie gegen die Bande stieß und dann ins anvisierte Loch fiel. Er spielte eine halbe Stunde lang und versuchte, sich nur auf ein Ziel zu konzentrieren, das Berechnen des Abprallwinkels. Um die 5 zu treffen, musste er …
Ein Schrei.
Ein spitzer, schriller Schrei.
Der plötzlich abbrach.
Die Nerven zum Zerreißen angespannt, stürzte er zur Tür hinaus und wäre beinahe mit Dubois zusammengestoßen, der, Belle-Mamie und Blanche auf den Fersen, aus dem Esszimmer kam. Er sah Andrieu, der aus seinem Arbeitszimmer gerannt kam. Nur die Tür des Fernsehzimmers, aus dem eine heftige Schießerei tönte, blieb geschlossen.
Aichas Stimme: »Was ist denn los?«
Colettes abgehackte Stimme: »Da, da!«
Spurt in die Küche. Colette, eine Hand auf der üppigen Brust,
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