Schneewittchens Tod
verletzt, mach dir keine Sorgen, wir werden ihn wieder heil machen, was, Chib, wir machen Bunny wieder heil. Weißt du, Chib ist Doktor.«
Eunice zog die Nase hoch, und als sie ihn ansah, blitzte ein Hoffnungsfunke in ihren Augen auf. Chib beugte sich über das Plüschtier, legte das Ohr auf die rosige, nasse Brust.
»Ja, ich glaube, das Herz schlägt noch!«, erklärte er bestimmt. »Schwester, ein sauberes Handtuch bitte!«
Schniefend reichte ihm Colette ein mit Gänsen besticktes Küchentuch. Chib presste es auf Bunny, wrang die Ohren und die Pfoten aus, drehte ihn um, zog den Reißverschluss auf und sah das garantiert wasserdichte Gehäuse in seinem Rücken.
»Skalpell!«
Die noch immer zitternde Colette reichte ihm ein Küchenmesser. Er schob es unter das Plastik, öffnete den Deckel, nahm die nasse Batterie heraus und trocknete sorgfältig den Mikro-Lautsprecher ab.
»Dieser junge Mann braucht ein Ersatzherz!«, rief er.
Verwirrt öffnete Colette den Mund.
»Glücklicherweise habe ich meine Zauberuhr dabei!«, fuhr er fort, öffnete das Armband, nahm die Batterie aus der Uhr und setzte sie in das Gehäuse ein. So! »Abrakadabra .«
Er drückte auf die »Play-Taste« und murmelte: »Los, du Mistding, los!«
»Ich mag Karotten!«, verkündete Bunny, die Nase auf dem Marmor, höflich.
Eunice stieß einen entzückten Schrei aus, sprang von Aichas Arm, griff mit strahlenden Augen nach dem Hasen und presste ihn mit aller Kraft an ihr Herz. Chib tätschelte ihr den Kopf. Er war bereit, eine neue Batterie zu kaufen. Er steckte die Uhr in die Tasche. Die beiden Frauen lächelten ihn an, als sei ihm tatsächlich soeben eine Operation am offenen Herzen gelungen, und er verbeugte sich.
»Gut, aber das ist nicht alles. Jetzt muss ich mich um mein Lammragout kümmern«, brummte Colette und tupfte sich die Augen ab.
»Lass sie nicht allein«, sagte Chib, an Aicha gewandt, und deutete dabei auf Eunice, die Bunny, die Augen glückselig geschlossen, in den Armen wiegte.
So, jetzt ein kleines Gespräch mit den Jungen, um Gewissheit zu haben. Er öffnete die Tür zum Fernsehraum und stellte sich vor den Bildschirm, auf dem Aliens explodierten und zu klebrigen violetten und grünen Massen zerliefen.
»He«, protestierte Charles. Er lag auf dem Sofa und richtete sich, den Joystick in der Hand, halb auf.
Louis-Marie, der mit seinem Joystick am Boden saß, drückte auf den Pausenknopf.
»Weg da, wir sind im Level vier!«, knurrte er.
»Wer hat Bunny in den Suppentopf geworfen?«, fragte Chib.
Die beiden Jungen sahen ihn erstaunt an.
»Bunny?«, wiederholte Louis-Marie.
»Den Plüschhasen von Eunice«, erklärte Chib. »Warst du es?«
»In welchen Suppentopf? Wovon reden Sie?«
»Warst du es, Charles?«
»Haben Sie nichts Besseres zu tun, als mir nachzuspionieren?«, sagte Charles seufzend. »Warum sollte ich einen blöden Plüschhasen in einen Suppentopf werfen?«
»Um deiner kleinen Schwester einen Streich zu spielen.«
»Ich werde bald sechzehn. Aus dem Alter für so dumme Streiche bin ich raus!«
»Sehen Sie mich nicht so an«, protestierte jetzt Louis-Marie, »ich war es auch nicht! Wenn Sie glauben, dass wir unsere Zeit damit vertun, mit Eunice oder Annabelle zu spielen, das sind doch Babys!«, betonte er verächtlich.
»Können wir jetzt bitte unser Spiel weitermachen?«, fragte Charles und drückte auf den roten Knopf.
Ohne zu antworten, schloss Chib die Tür. Vielleicht logen sie, trotzdem glaubte er ihnen. Doch die Übereinstimmung dessen, was ihm Eunice kurz zuvor erzählt hatte, und der Geschichte mit dem Hasen, der im Suppentopf kochte, war zu groß. Man hatte sie unter Druck setzen wollen. Um sie zu zwingen …? Ihm wurde plötzlich bewusst, dass er mitten in der Halle stand. Der Fremde, der keinen Platz hat. Andrieu hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Belle-Mamie weinte wohl ihren Groll an Dubois' Schulter aus, dessen kleine Wieselaugen auf vorwitzig umherkriechende Dämonen gerichtet sein mussten. Blanche war sicher in ihrem Zimmer, trieb auf dem zarten Blau ihrer Steppdecke dahin - der Kopf auf den gestickten Wolken der Kissen, der Blick im Halbdunkel irrend wie ein Phantomschiff, verloren im Packeis.
Da er nicht wusste, wo er bleiben sollte, ging er nach draußen und setzte sich auf einen der schmiedeeisernen Stühle. Es war kalt. Die Sonne war fast untergegangen. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch und vergrub die Hände in den Taschen. Ein gut angefüllter Tag, Chib. Zu
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