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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Schwebe, nach Art des Hauses, und Andrieu nickte, schien beruhigt .
    »Sie ist schön, nicht wahr?«, hauchte er in Richtung des Sarges. »O mein Gott, es wäre ein so hübsches junges Mädchen aus ihr geworden!«
    Er unterdrückte ein Schluchzen, dann wandte er sich ab und entfernte sich mit mechanischen Schritten.
    Chib schluckte kräftig und folgte ihm mit hochrotem Kopf.
    Sie war es nicht mehr! Sie war keine Jungfrau. Kein Hymen! Ein kleines Mädchen von acht Jahren! Wie war das möglich?
    Eine genetische Missbildung? Ein vorzeitiger Riss des Hymens als Folge eines Sturzes? Oder vom Ponyreiten?
    Sie wurde vergewaltigt, so sah die Wahrheit aus. Jemand hatte sie vergewaltigt und getötet.
    Die Polizei benachrichtigen? Greg kannte bestimmt jemanden im Kommissariat. Aber was sollte er sagen?
    »Guten Tag, Monsieur Moreno.«
    Beinahe wäre er mit Blanche zusammengestoßen; sie war aschfahl in ihrem marineblauen schlichten Kleid, fast ungeschminkt, die Schultern gebeugt. Er grüßte sie, die Augen auf den kleinen goldenen Christus an ihrem Hals geheftet .
    »Mein Cousin, Pater Dubois«, fuhr sie fort und deutete auf einen kleinen, hageren Mann mit strengen Zügen, im dunkelgrauen Anzug, ein silbernes Kreuz am Revers des Jacketts.
    Der Priester nickte ihm wortlos zu. Chib stellte fest, dass seine Augen und sein Haar den gleichen Grauton hatten wie sein Anzug. Über dem Stehkragen ein stark hervortretender Adamsapfel. Seine schmalen Lippen lächelten nicht. Er wirkt weniger wie ein Pädophiler als wie ein pensionierter GestapoMann, sagte sich Chib, als Belle-Mamie ihn jetzt begrüßte, die Augen geschwollen, ein Taschentuch in der Hand zusammengedrückt. Dann stellte Blanche ihn ihren Freunden vor, den Labarrieres, um die fünfzig, betucht, teuer gekleidet, gut frisiert, kostbarer Schmuck an Madame, Breuer-Krawatte an Monsieur, sauber, gesund, rosig, nichts Auffälliges. Die Osmonds, die Nachbarn, etwa im gleichen Alter, waren etwas weniger fad. John Osmond hatte den behaglichen Bauch des Biertrinkers und seine Frau Clotilde die rote Nase der Alkoholikerin. Er hatte sich für die Kleidung des Gutsbesitzers, ganz in Olivgrün, entschieden, sie für einen schlecht geschnittenen Kasak, der sie aussehen ließ wie eine Nonne in Zivil. Die Chassignols waren eine Nummer für sich. Remi Chassignol, der Kompagnon, gehörte zur Gattung Raubtier, dichte dunkle Mähne, stählerner Blick, Adlernase, sehr lässig in einem todschicken Gilles-Masson-Anzug, während seine Pute das pralle Hinterteil und den üppigen Busen in ein hautenges dunkles Designer-Kleid gezwängt hatte; das lange, blonde Haar fiel über ihre Schultern, und die aufgeworfenen Lippen waren zu einem Schmollmund halb geöffnet.
    Höfliches Händeschütteln, kurzes verhaltenes Lächeln, gedämpfte Stimmen, und immer wieder trauriges mitleidiges Kopfschütteln.
    Die Augen, wie vom Weinen gerötet, die Arme vor der Brust verschränkt, das Haar akkurat gescheitelt, hielt sich Charles -die perfekte Miniaturausgabe seines Vaters -, in seinem dunklen Anzug, ein wenig abseits und musterte Chib, ohne ihn zu grüßen.
    »Was möchten Sie trinken?«, fragte Blanche plötzlich hinter ihm.
    »Ein Glas Wasser, danke.«
    Sie machte dem Kellner in weißer Weste ein Zeichen, es war eine der Aushilfskräfte, von denen Aicha gesprochen hatte.
    Blanche … Er betrachtete ihren zarten Nacken. Die Hand darauf legen. Sie an sich ziehen. Sie beschützen. Beschützen vor was? Vor wem? Vor dem Tod? Lächerlich.
    Sie vor der Wahrheit beschützen, die sie nicht kannte? Dass jemand ihr Kind missbraucht hatte? Nein. Würde er also zulassen, dass ein Mörder in Freiheit blieb? Ja. Weil er nicht sicher war. Es waren nur höchst morbide Vermutungen.
    Und die Tatsache, dass sie nicht mehr Jungfrau war? Nur eine taktile Halluzination? Er leerte sein Glas Mineralwasser in einem Zug. Er hatte Lust, Gaelle anzurufen. Er wollte schon nach draußen gehen, um zu telefonieren, als Pater Dubois hüstelte.
    »Meine Damen, meine Herren, wenn Sie mir bitte folgen wollen .«
    Chib bemerkte den Schatten der Furcht auf dem Gesicht der Pute, deren Namen er nicht richtig verstanden hatte. Winnie oder so ähnlich. Winnie-der-dauergewellte-Bär. Belle-Mamie, eingeschnürt in ein graues Kostüm, hob die Hand an die Brust und seufzte tief. Charles legte die große Hand des zu schnell Herangewachsenen auf ihren gefleckten Arm. Sie strich ihm mit einem gerührten Lächeln über den Kopf. Blanche, den Kopf gesenkt, rang die

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