Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Mutter, die ein Dirndl mit weißer Bluse trägt, skurril. Nur das Piercing, das ihr Gesicht mehr oder weniger schmückt, und dieses Dutzend Ohrringe passen dann doch zur Anmutung der Poster.
Ich notiere Heinrichs Geburtsdatum: Er ist knapp ein halbes Jahr alt.
Max gibt dem Baby ein fiebersenkendes Zäpfchen. Dann erklärt er der Mutter, dass es gut wäre, das Kind für eine Nacht in die Kinderklinik zu bringen.
»Das müssen Sie doch wissen, oder bin ich der Arzt?«, erwidert sie und lässt sich wieder in ihren Sessel fallen.
»Gut«, sagt Max, »dann nehmen wir den Kleinen zur Überwachung mit.«
Durch die offene Tür sieht man einen kahlgeschorenen Mann mit einem kantig geschnittenen Bart durch den Flur in die gegenüberliegende Küche schlappen. Ohne uns zu begrüßen. Er trägt eine weite Jogginghose und ein Unterhemd, zwei der Katzen laufen ihm hinterher.
»Wollen Sie noch ein paar Sachen packen?«, helfe ich der Mutter auf die Sprünge. Schwerfällig und mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck erhebt sie sich und verschwindet durch den Flur in das andere Zimmer, vermutlich das Schlafzimmer.
Durch die offenen Türen sehe ich den Mann, wie er sich eine Bierflasche öffnet. Eine der Katzen streicht ihm am Bein entlang. Der Mann tritt nach dem Tier, das laut aufjault. »Weg da, du Drecksviech!« Er wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. »Und dass es euch nicht einfällt, wieder auf den Tisch zu springen.«
Ich hole tief Luft. Es fällt schwer, sich zurückzuhalten.
Die Mutter kommt mit einer Sporttasche zurück, der Mann kommt mit der Bierflasche in der Hand hinterher.
»Und?«, sagt er und sieht seine Frau fragend an.
»Die nehmen ihn mit«, sagt sie.
»Fahren Sie nicht mit uns mit, Frau Gebhardt?«, fragt meine Kollegin erstaunt.
»Nein, wieso? Kommen die in der Kinderklinik nicht ohne mich klar? Sie hatten doch gesagt, dass ihm nicht viel fehlt und er nur zur Beobachtung über Nacht bleibt, oder hab ich da was falsch verstanden?« Dieser Unterton in allem. Dieses Verdrehen der Augen: Ich könnte platzen.
Aber Max bleibt ruhig, zieht nur die Augenbrauen ein wenig hoch.
»Ja, sicher, es ist nur zur Beobachtung«, sagt er.
»Gut, ich rufe dann morgen an und hole ihn wieder ab, wenn es so weit ist. Wo ist denn da bitte das Problem?«
»Kein Problem, Frau Gebhardt. Es steht Ihnen natürlich frei, Ihren Sohn dann morgen wieder abzuholen.« Auch Max’ Gesichtsmuskeln zucken jetzt angespannt.
Der Mann verschwindet wortlos im Nebenraum.
Wenig später trägt die Kollegin den Kindersitz mit dem kleinen Heinrich aus der Wohnung.
»Passen Sie auf, dass die Katzen nicht rausrennen!«, sagt die Mutter, statt uns zu verabschieden.
»Vorsicht!«, ruft der Kollege Müller. Fast wäre die Tür unten wieder krachend zugefallen, im letzten Moment erwische ich sie noch. Die Kollegin bringt den Kleinen in den RTW . Max steigt ebenfalls in den Patientenraum.
Mir fällt auf, dass meine Taschenlampe fehlt. »Ich muss noch mal zurück«, gebe ich den anderen Bescheid. »Meine Taschenlampe …«
Es dauert eine Weile, bis sich jemand an der Sprechanlage meldet. Wieder diese gereizte Stimme. »Ja, was ist denn jetzt noch?«
»Ich wollte fragen, ob meine Taschenlampe noch irgendwo bei Ihnen rumliegt. Schwarz, aus Metall, ungefähr 12 Zentimeter lang. Im Sessel vielleicht?«
»Nein.«
Die Antwort ist so knapp und unverbindlich, dass es mir fast die Sprache verschlägt, aber dann hake ich noch einmal nach: »Könnten Sie bitte im oder neben dem Sessel schauen?«
»Nein, das brauche ich nicht, da liegt nichts.«
Es klickt, und die Stimme ist weg.
Gut, dann ist sie eben verloren, die Taschenlampe, lässt sich wohl nicht ändern , versuche ich mich selbst zu beruhigen.
»Kinderklinik!«, ruft mir der Kollege Müller zu, als ich zurückkomme. Er steigt gerade auf der Fahrerseite in den RTW . Kurz darauf fahren sie mit dem Kind ab.
Es ist bereits nach Mitternacht. 00.13 Uhr zeigt die Uhr im Auto an. Im Licht der Straßenlaternen sind hier und da schon geschmückte Maibäume zu sehen. Vor einer Kneipe wird noch Freinacht gefeiert. Renate und ich waren auch bei Freunden eingeladen, aber der Dienstplan stand schon fest. Allein wollte Renate nicht ausgehen. »Ich leg mich lieber früh hin«, hatte sie gesagt. Renate braucht seit ein paar Wochen mehr Schlaf als sonst. Und aus gutem Grund. »Wir« sind schwanger. Im Oktober soll unser erstes Kind kommen. Wir planen schon fleißig. Möchten, dass alles für das Baby
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