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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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Weg nach oben. Hinter uns fällt die Haustür laut ins Schloss.
    Sofort schallt eine Stimme von oben durch das Treppenhaus: »Wenn da jetzt nicht gleich Ruhe ist, dann komme ich runter und knall dir eine.«
    Es klingt eher wie die Stimme einer älteren Person, aber ob es sich um einen Mann oder einer Frau handelt, könnte ich nicht sagen.
    »Huiuiui …«, bemerkt Max.
    »Schon gut!«, rufe ich nach oben. »Wir haben einen Einsatz hier und wussten nicht, dass die Tür so laut zufällt.«
    »Gar nichts ist gut! Ich hab das jetzt schon oft genug gesagt, verdammt noch mal! Ich komm gleich runter und verpass dir eine!«
    Aber als wir im zweiten Stock sind, knallt oben eine Wohnungstür zu, und es bleibt ruhig.
    »Das war aber noch lauter als die Eingangstür«, sagt Max, während wir durch die offene Tür in die Wohnung gehen, wo uns ein Kollege, die Augen verdrehend, empfängt.
    »Der hat wohl irgendwie ein Problem, der hat sich bei uns auch so aufgeführt«, sagt er. Auf seiner Dienstjacke ist sein Name aufgenäht: »L. Müller«.
    Ich weiß nicht, was mich mehr irritiert, die schwarz gestrichenen Wände der Diele oder die Geruchsmischung aus Zigarettenrauch und Katzenklo. Wir zwängen uns an einer Garderobe, einem Schuhschrank, einer Kommode und einem Computertisch mit Drucker vorbei. Vor uns ein Zimmer mit einer modernen Glastür in einer Metallzarge, in dem matten Glas bricht sich das flackernde Licht eines Fernsehgerätes. Aber der Kollege deutet nach rechts.
    »Sind jetzt die Katzen rausgelaufen?«, ruft eine Frau aus dem Zimmer, noch bevor wir es betreten habe.
    »Nein, Frau Gebhardt. Ich hab schon aufgepasst«, beruhigt der Kollege. Tatsächlich schleichen zwei Katzen um mich herum, und als ich in das Wohnzimmer komme, sehe ich noch eine dritte, die auf einem Katzenbaum von einer auf die andere Ebene springt.
    An einem Gitterbett steht eine Sanitäterin, die uns gleich alles Wichtige mitteilt. Das Kind ist noch sehr klein, ein Baby, es liegt ruhig in seinem Bett.
    Auch in diesem Zimmer läuft ein Fernsehgerät – mit einer Rateshow. »Können wir das vielleicht mal ausmachen?«, fragt Max die Mutter.
    Sie verzieht gequält ihr Gesicht, nimmt aber die Fernbedienung und schaltet das Gerät aus.
    »Als wir eintrafen, war der Fieberkrampf schon vorbei«, wiederholt die Sanitäterin.
    »Wie heißt denn das Kind?« Max schaut die Mutter an, die sich in einem Sessel niedergelassen hat.
    »Heinrich.«
    »Aha, ein Junge.« Mit diesen Worten wendet er sich dem Kleinen zu.
    »Vermutlich, wenn er Heinrich heißt, oder?«, sagt die Mutter. Schnippisch wäre untertrieben, um diesen Ton zu beschreiben, er ist herausfordernd, fast aggressiv.
    Max ignoriert sie. Er schaut sich das Baby an, die Pupillen, dann Mund und Rachen und den Körper, vorerst ohne es auszuziehen.
    Mit seinem Zeigefinger berührt er die Innenflächen der kleinen Hand. Langsam schließen sich die winzigen Fingerchen um den im Gegensatz dazu fast riesig anmutenden Finger, der in einem blauen Untersuchungshandschuh steckt.
    »Habt ihr schon Fieber gemessen?«, fragt er die Kollegin.
    »Ja. 38,4«, sagt sie.
    Er nickt.
    »Und die letzten Tage, wie war es da? Haben Sie gestern auch mal gemessen?« Die Frage gilt der Mutter.
    »Das Fieber hat er schon seit gestern, da war es am Abend bei 39 Grad. Aber das habe ich alles schon Ihrer Kollegin erzählt. Vielleicht stimmen Sie sich untereinander ab?«
    Max geht auch auf diesen patzigen Kommentar nicht ein.
    »Habt ihr schon die Personalien aufgenommen?«, frage ich die Kollegin.
    »Nein, bisher noch nicht.«
    »Haben Sie die Krankenversicherungskarte zur Hand?«, frage ich die Mutter.
    »Ja.« Sie sucht nach ihrem Geldbeutel, der sich dann in einem Regal findet.
    Sie hält mir die Karte hin.
    »Darf ich mich bitte kurz hinsetzen?« Ich deute auf einen freien Sessel.
    »Ja, sicher.« Ein vorwurfsvoller Blick, als ob ich eine völlig unangemessene Frage gestellt hätte.
    Während ich schreibe und dazu immer wieder auch etwas nachfrage und auf eine Antwort warte, schaue ich mich um. Überall Videokassetten in den Regalen. An einer Wand ein übergroßes Bild: eine breite Straße, die in die Ferne führt, alles dunkel in dunkel, am Horizont ein feuerfarbenes Licht, darüber ein infernaler Wolkenhimmel, der sich zu einem Totenschädel formt. Daneben ein Poster in dunklen Blautönen: eine leicht bekleidete, engelsähnliche Frauengestalt mit schwarzen Flügeln, der dunkles Blut aus dem Mund fließt. Daneben wirkt Heinrichs

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