Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
passt. Ein seltsamer, mir »fremder« Gedanke, das eigene Baby von irgendwelchen Unbekannten in ein Krankenhaus einliefern zu lassen und nicht zu begleiten. Was die Eltern jetzt wohl machen? Ob sie auch nur eine Sekunde an den kleinen Heinrich denken?
In der Klinik kommen mir die Kollegen entgegen, jetzt erst tauschen wir unsere Namen aus. Lars und Klara heißen die beiden. Sie sind von der Wache Gersthofen.
»Der Kleine kann einem echt leidtun!«, sagt Klara.
»Puh. Das war jetzt irgendwie alles heftig«, stimme ich zu. »Wo ist er denn jetzt?«
»Dein Doc ist mit dem Jungen noch auf 3«, sagt sie.
Wir verabschieden uns, und ich gebe zuerst die Personalien weiter, dann suche ich Max und das Baby in der Aufnahmekabine 3.
Der Junge liegt noch dort auf der Untersuchungsliege. Eine junge Ärztin schaut ihn sich gerade an. Auch ohne seine Kleidung sind keinerlei Spuren irgendwelcher Verletzungen festzustellen. Er sei in keiner Weise ungepflegt oder verwahrlost, sagt die Ärztin.
»Zumindest nicht, was das Körperliche angeht«, fügt Max hinzu.
Die junge Kollegin nickt.
***
Draußen ist es bereits hell, es regnet in Strömen, als ich nach Hause komme. Leise schleiche ich ins Haus, lege im Badezimmer meine Sachen ab, um Renate nicht zu wecken. Nach einem blinden Alarm – immerhin keine Betrunkenen, Verletzten oder Schlimmeres – habe ich den Rest der Nacht nicht mehr einschlafen können, obwohl ich richtig müde war.
»War viel los?«, murmelt Renate im Halbschlaf, als ich ins Schlafzimmer trete, und dreht sich auf die andere Seite.
»Nein, nicht viel«, antworte ich.
»Schlimm?«
Ich überlege.
»Schlimme Sachen?«, murmelt sie.
»Ja, doch«, sage ich. » Schlimm .«
»Unfälle, heute in der Freinacht …?«, will sie wissen.
»Nein, keine Unfälle«, antworte ich.
»Aha«, sagt sie. Dann schläft sie weiter.
Schlimm? Was ist eigentlich schlimm? Eine Krankheit? Ein verletzter Körper? Eine verletze Seele? Eine fehlende Zukunft?
Ich denke an unser Kind. Und noch einmal an Heinrich. Und daran, wie schwer es ist, einem Kind gerecht zu werden. Und noch immer kann ich nicht einschlafen.
Advent im August
K affeeduft und das leise Rasseln der Kaffeemaschine. »Erinnert irgendwie an ein Lungenödem«, hatte Pit, ein neuer junger Kollege, während der letzten Wochenendschicht gesagt. Ich hatte laut lachen müssen. Pit schenkte sich von dem Kaffee ein und betrachtete die gefüllte Tasse mit gespieltem Argwohn. Pit ist wirklich komisch.
Auch dieses Wochenende haben wir zusammen Dienst, aber wo steckt er jetzt bloß? Im »Wohnzimmer« und der Küche jedenfalls nicht. Noch beim Umkleiden oder schon beim Wagen?
»Pit?«, rufe ich im Gang Richtung Fahrzeughalle. Aber zu meiner Überraschung kommt mir Felix entgegen.
»Morgen, Felix«, begrüße ich ihn.
»Morgen«, sagt er knapp.
»Hattest du Nachtschicht? Wo ist Pit?«
»Nee. Ich hab Tagdienst mit dir zusammen.«
»Ah.«
Schade. Ich hatte mich auf den Dienst mit Pit gefreut. Ich gehe noch einmal ins »Wohnzimmer« und schaue auf den Dienstplan: Tatsächlich, Pit steht nicht drin, ich muss in der Zeile verrutscht sein.
Felix hat schon das Fahrtenschreiberblatt gewechselt, das Fahrtenbuch geschrieben und sich als Fahrer eingetragen.
»Ich hab Öl nachgefüllt«, sagt er.
Es klingt beinahe vorwurfsvoll, als ob es ihn nervt, dass etwas gefehlt hat.
»Hat viel gefehlt?«, frage ich.
»Hm. Ja, etwa ein Viertel.«
»Wie lange bist du denn schon da?«
»Kurz vor sieben.«
Felix ist ein Frühmensch, ich ein Abendtyp.
Immerhin kann ich ihn noch beim Checken des Patientenraums unterstützen. Mehr oder weniger wortlos sehen wir alles durch. Ich prüfe das EKG , er den Koffer. Er schreibt auf, was nicht in Ordnung ist. Dann schüttelt er den Kopf. »Eine 5er-Spritze fehlt, dafür ist eine 10er zu viel. Statt vier nur drei große Verbandspäckchen. Und sehr viele Tupfer sind auch nicht mehr im Beutel.«
Eigentlich alles kein Problem.
»Außerdem läuft das hier …« – er hält eine Ampulle in der Hand – »… nächsten Monat ab, da müssen wir aufpassen.«
Natürlich ist es gut, dass Felix es so genau nimmt. Aber ich habe den Eindruck, er sucht geradezu immer etwas, mit dem er unzufrieden sein kann.
»Der Kaffee schmeckt gut. Besser als sonst«, sage ich, als wir etwas später im »Wohnzimmer« sitzen.
»Ich hab mehr Kaffeepulver reingetan als sonst«, sagt er. »Außerdem habe ich die Kanne mal richtig geputzt.«
Dieser vorwurfsvolle Unterton,
Weitere Kostenlose Bücher