Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Gang herrscht, wenn man vom leisen Rauschen einer Lüftung absieht.
Keine drei Minuten später ist es offiziell: Claire, die junge Frau, ist tot.
Unsere Versuche, noch etwas für sie zu tun, waren vergebens.
Wie mechanisch setze ich meine Arbeit fort und ziehe unter dem Kopfteil der Trage ein frisches Einmaltuch heraus.
Gerade als Frank vorschlägt: »Komm, schieb raus, wir beziehen draußen in der Halle beim Auto«, geht die Tür wieder auf und der Arzt, der sich schon drinnen hervorgetan hatte, erscheint. Das Gesicht knallrot.
»Was bringen Sie mir hier rein? Was bringen Sie mir hier für einen Mist? Was soll diese Scheiße?«
Der Notarzt im Schockraum steht sprachlos vor ihm.
»Die Frau hat ein Schädelhirntrauma und eine HWS -Fraktur, beide Oberschenkel sind gebrochen und die Schlagader ist ab, und so was reanimieren Sie? Schauen Sie mal hier …« Er hält unserem Notarzt einen Stapel Papiere unter die Nase und schreit: »Diesen ganzen Müll kann ich jetzt ausfüllen. Glauben Sie, ich habe keine andere Arbeit hier?«
Ich gebe Frank ein Zeichen, und wir ziehen uns zurück, bevor wir auch noch in die Schusslinie geraten. Langsam schieben wir unsere Trage Richtung Auto.
»Mein Gott, so ein Volldepp«, sagt Frank, als wir in die Fahrzeughalle kommen. »Der hat hier drinnen alles: Röntgen, Ultraschall, sonst was. Und nichts davon haben wir draußen zur Verfügung.« Er schüttelt immer mal wieder fassungslos mit dem Kopf, dann sagt er: »Ich brauch jetzt erst mal ’n Kaffee und Zigarette. Und du?«
»Einen Kakao, wenn du hier einen Automaten findest, der so was hat.«
Während ich auf Frank warte, kommt der Notarzt aus der Klinik in die Fahrzeughalle.
»Hat er noch weiter gestresst?«, frage ich geradeheraus.
»Ach …«, sagt er nur und winkt ab.
Aber sein schnaufender Atem verrät, dass er mehr als verärgert ist.
Ich halte den Transportschein in der Hand, den der Arzt unterschreiben muss. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich seinen Namen immer noch nicht kenne. Bei einem Einsatz stellen sich die Ärzte in der Regel nicht vor, und bei so einem Einsatz ist für Förmlichkeiten sowieso keine Zeit. Ich strecke ihm den Zettel hin, er setzt sein Autogramm unten auf das Papier. Einen Namen kann ich trotzdem nicht entziffern.
Als er mir das Papier gibt, platzt es aus ihm heraus: » Mit dem bin ich schon mal so zusammengestoßen. Das einzige Mal, dass ich hier schon mal einen Patienten abgegeben habe. Der ist wohl immer schlauer als alle anderen. Aber das war jetzt zu viel. Ich werde mich beschweren. Beim Chef hier. Den kenne ich nämlich noch vom Studium.«
Bevor ich verlegen nicke, weil ich nichts zu erwidern weiß, kommt Frank mit dem Kaffee und dem Kakao.
» HWS «, sagt er, schaut aber nicht den Doktor an, sondern mich. »Wenn sie die Halswirbelsäule gebrochen hatte, dann hätte die womöglich gar nichts mehr bewegen können …«
»Das haben wir ja nicht gewusst«, unterbreche ich ihn harsch. »Und selbst wenn: Was willst du damit sagen?«
Ich sehe Frank direkt in die Augen, aber er antwortet nicht. Erst jetzt ergreift mich eine ungeheuerliche Wut. Dieser ganze Einsatz, dieser Empfang in der Klinik. Ich wiederhole es, provozierender: »Frank, hallo, was willst du damit sagen?«
Er wendet sich von mir ab, geht ein Stück auf Abstand und nimmt einen Schluck Kaffee.
Als ob der mich nicht gehört hätte . Aber bevor ich noch etwas sagen kann, beruhigt der Notarzt die Situation.
»Dass das vermutlich nichts mehr wird, haben wir doch alle gewusst. Wie fast immer, wenn man einen Traumapatienten reanimiert.« Er faltet sein Notarztprotokoll zusammen.
»Und vermutlich war es jetzt auch besser so. Sie hätte einen hohen Querschnitt gehabt, und wer weiß, was sie im Kopf noch alles abbekommen hat. Aber die Frau war dreiundzwanzig. Und dass man es zumindest probiert …? Und dann noch ihr Mann, der danebensteht. Soll ich dem sagen: Wir versuchen es gar nicht mehr, weil die meisten Reanimationen in so einem Fall sowieso nichts werden? Ohne dass wir überhaupt wissen, was die Frau wirklich hat?«
Aus der Schiebetür der Klinik kommt eine Frau, der Kleidung nach eine Verwaltungsangestellte. »Wo ist der Belgier jetzt?«
Frank wendet sich ihr zu. »Welcher Belgier? Wir haben nur eine Frau reingefahren.«
»Der Motorradfahrer«, sagt sie. Und dann fügt sie noch hinzu: »Schlimm, auf der Hochzeitsreise die Frau zu verlieren.«
»Bitte? … Hochzeitsreise?« Ich meine mich verhört zu haben.
»Ja, die
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