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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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seinen Atem aus.
    Wir stehen im neunten Stock eines Hochhauses. Ein angedrohter Suizid, die Notfallmeldung kam über die 110. Fast zeitgleich mit den Kollegen von der Polizei und nur kurz nach dem Notarzt sind wir am Einsatzort eingetroffen. Und obwohl wir uns sicher sind, in der Wohnung Geräusche zu hören, öffnet niemand.
    Als einer der Polizeibeamten schließlich damit droht, die Tür mit Gewalt öffnen zu lassen, erscheint ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann an der Tür. Hinein lässt er uns nicht.
    Fast eine Viertelstunde lang verhandeln der Polizist und der Notarzt durch den Türspalt mit dem Mann. Das sei alles ein Missverständnis, sagt Herr Kerning, so der Name des jungen Mannes, er habe nur gesagt, so mache ihm das Leben keinen Spaß mehr, aber das bedeute doch nicht, dass er sich etwas antue. Sicher habe seine Freundin angerufen, die betrüge ihn schon, seitdem sie zusammen wären, und das wären immerhin anderthalb Jahre. Mit keinem Wort habe er angekündigt, sich das Leben zu nehmen. Das sei sowieso keine Frau wert.
    Dr. Weiss hakt immer mal wieder nach und versucht, mit dem jungen Mann ins Gespräch zu kommen. Weshalb denn dann seine Freundin darauf komme, dass er sich das Leben nehmen wolle, will er wissen.
    Aber alle Antworten klären die Situation nicht wirklich, zu viele Widersprüche, zu viel Abwehr.
    Als schließlich immer mehr Flurnachbarn auf das Spektakel im Gang aufmerksam werden und sich teilweise sogar neugierig dazustellen wollen, lässt uns der junge Mann endlich in seine Wohnung.
    Der müffelnde Geruch, der schon aus dem Türspalt in den Flur gezogen war, verstärkt sich beim Betreten der Wohnung. Ich meine, in der Küche am Ende des Flurs etwa zehn aufeinandergestapelte Müllsäcke zu erkennen.
    Es sei ihm in den letzten Tagen nicht so gut gegangen, erklärt uns Herr Kerning immerhin verlegen, und deshalb habe er den Müll noch nicht heruntergebracht. Aber sonst sei immer alles tipptopp aufgeräumt bei ihm.
    Doch auch in seinem Schlafwohnzimmer, in das wir uns mit ihm setzen, stapeln sich etliche Müllbeutel und leere Verpackungen. Mein Blick streift vergammelte Essensreste hinter dem durchsichtigen Plastik, Hühnerknochen vielleicht, Kartoffelreste, Undefinierbares. Ich hatte kurz vor dem Einsatz zwei belegte Brote gegessen, für einen Moment würgt es mich nun, aber dann geht es zum Glück wieder.
    »Die Dusche ist auch bis zur Decke voll«, sagt ein Polizist. Ganz offensichtlich nicht der vergessene Müll von ein paar wenigen Tagen, sondern ein zwanghafter Müllsammler: Gehört hatte ich so was schon mal, vorstellen konnte ich es mir bis heute nicht.
    Ich lasse meinen Blick wie zur Erholung von dem Ekel über die Einrichtung schweifen. Bongos stehen herum und schwarz lackierte afrikanische Figuren von Menschen und einem Elefanten. An der Wand eine Weltkarte, überall stehen Kerzen herum, einige schon heruntergebrannt. Grauer, größtenteils abgewetzter Teppichboden, der auch an den Stellen, an denen er nicht heruntergetreten ist, längst seinen Glanz verloren hat. Ich verschränke instinktiv die Hände ineinander – anfassen müssen möchte ich hier lieber nichts.
    Sie habe sein ganzes Leben kaputt gemacht, jammert Herr Kerning. Eigentlich sieht er ganz nett aus, ein sympathisches Gesicht mit männlichen Gesichtszügen, dunkler, scharf rasierter Bart. Aber dieses Leidende – das passt gar nicht dazu. Er fährt fort mit seinen Erklärungen: Er habe auf sie gebaut und ihr vertraut, und sie betrüge ihn mit einem anderen, seit einiger Zeit regelmäßig. Vielleicht – meint unser Patient – habe er am Telefon alles ein wenig drastisch ausgedrückt, um seine Freundin endlich mal zur Vernunft zu bringen, ihr einen Schreck einzujagen, aber ganz sicher habe er niemals angedroht, sich das Leben zu nehmen.
    Als die Freundin, eine gepflegte junge Frau mit halblangen blonden Haaren, zusammen mit einem Polizisten hereinkommt, verstummt der Patient für einen Moment. Dann springt er von seinem Platz auf und attackiert sie mit allen nur denkbaren Schimpfwörtern.
    »Jetzt beruhigen Sie sich mal, Herr Kerning«, sagt Dr. Weiss. »Sie setzen sich wieder!«, ordnet zeitgleich der Beamte, der neben dem Patienten steht, an. »Ich würde mich dann gerne mal einen Moment lang mit Ihrer Freundin unterhalten. Draußen.«
    Die Strenge zeigt Wirkung. Der Patient nickt stumm. Während Fabian ihn im Auge behält, bittet der Doktor die Freundin des Patienten und mich in den Gang hinaus.
    »Aber sie lügt

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