Schnitt: Psychothriller
gelöscht. Tiefhängende Wolken reflektieren die StraÃenbeleuchtung und lassen den Himmel aussehen wie giftige Asche.
Gabriel drückt die Klingel. Im selben Augenblick jault eine Sirene ganz in der Nähe auf, und er zuckt zusammen; seine überreizten Nerven machen ihn dünnhäutig. Schon nach wenigen Sekunden drückt er abermals auf den Klingelknopf. Diesmal bleibt die Sirene aus. Stattdessen kratzt Davids Stimme im Lautsprecher. »Hallo?«
»Ich binâs«, sagt Gabriel.
Stille.
Gabriel meint, David atmen zu hören, er zögert. »Ich ⦠ich hab gerade Besuch, können wir nicht ein anderes Mal â«
»Ich brauch nicht lange.«
Wieder Stille. »Okay, okay«, antwortet David schlieÃlich resigniert.
Der Türsummer schnarrt, und Gabriel drückt die Tür auf. Aus dem Treppenhaus dringt ein von Putzmitteln geschwängerter Luftzug. Der schale Geruch von Gabriels Kleidern passt in den Hausflur wie ein Hundehaufen auf einen Bridgetisch. Während er die Treppe emporeilt, tastet er nach dem Handy in seiner Hosentasche und fragt sich, wann Val sich wieder melden wird.
Die Tür von Davids Dachgeschosswohnung steht bereits offen, und Gabriel tritt ein. »Hallo?«
»Ich bin im Wohnzimmer«, ruft sein Bruder. Einen Moment später steht er David gegenüber, der blass und hohläugig am Tresen seiner offenen Küche lehnt. Hinter ihm, an der Kaffeemaschine, steht die braunhaarige Frau, die Gabriel schon beim ersten Mal in Davids Wohnung gesehen hatte. Sie gieÃt sich einen Kaffee ein, nickt Gabriel knapp zu und taxiert seinen Aufzug.
»Shona kennst du ja schon«, murmelt David und vermeidet es offensichtlich, ihn anzusehen. Dennoch streift sein Blick den Verband an Gabriels Arm, den fleckigen Pullover, die ramponierte Hose und die schmutzverkrusteten Schuhe. Seine Augen weiten sich. »Was ist denn mit dir passiert?«
Gabriel verzieht den Mund. »Können wir alleine reden? Nur kurz.«
David und Shona wechseln einen Blick. Sofort fragt sich Gabriel, was er ihr erzählt hat.
»Wie wärâs, wenn du dir erst mal was anderes anziehst?«, schlägt David vor und deutet zur offenen Schlafzimmertür. »Die GröÃe haut ja ungefähr hin, bedien dich einfach.«
»Anzüge sind nicht mein Ding, und ich will nicht lange bleiben«, antwortet Gabriel. »Wenn du mir etwas Geld leihst, dann besorge ich mir selbst ein paar neue Klamotten.«
»Wie viel ist denn âºetwasâ¹?«
Shona wirft David einen warnenden Blick zu.
»Zwei- bis dreitausend, fürs Erste«, schlägt Gabriel vor. »Du kriegst es wieder, keine Sorge«, schiebt er rasch nach, als er Davids groÃe Augen sieht. »Ich bin überfallen worden und musste weg. Das Einzige, was ich auf die Schnelle mitnehmen konnte, war mein Handy.«
David atmet tief durch und weicht seinem Blick aus. Unter seinen blonden Bartstoppeln sind die Wangen rot, und es ist ihm anzusehen, wie sehr er es hasst, dass man ihm jede Regung vom Gesicht ablesen kann.
Shona sieht erst David an, dann Gabriel. Geräuschvoll setzt sie ihren Kaffeebecher auf den Tresen. »Hören Sie, es geht mich ja nichts an, aber Sie sind hier nicht der Einzige, der gerade Schwierigkeiten hat und â«
»Shona, bitte«, sagt David.
»Was soll das heiÃen?«, fragt Gabriel argwöhnisch.
»Schauen Sie sich doch mal um«, sagt Shona. »Nichts im Kühlschrank, an den Wänden fehlen Bilder, die Wohnung ist halb leer, und zu allem Ãberfluss ist David jetzt auch noch â«
»Shona, es reicht!«, bremst David.
»Was denn?«, gibt Shona erhitzt zurück. »Er geht dir doch auch auf die Nerven mit seinen Problemen. Warum sagst du ihm nicht einfach, dass du rausgeflogen bist und obendrein auch noch pleite.«
Gabriel starrt David an. »Stimmt das?«
David kaut auf seiner Unterlippe und sieht aus dem Fenster.
»Also ja.«
David nickt.
»ScheiÃe«, stöhnt Gabriel und lehnt sich gegen die Wand.
»Vielleicht kann ich dir irgendwie anders helfen«, sagt David leise, »aber nicht mit zwei- oder dreitausend.«
Shona sieht David fassungslos an. »Sag mal, kapierst du nicht, was hier läuft? Dein feiner Bruder reitet dich von einer Katastrophe in die nächste, und du bietest ihm immer noch deine Hilfe an?«
»Shona, bitte«, sagt David abermals.
»Bravo«, sagt Gabriel giftig.
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