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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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muss . Dass er wissen muss, was dahinter ist. Aber er weiß auch, dass er diese Tür nie wieder wird schließen können. Das Ziehen scheint seinen Magen zu zerreißen.
    Dann drückt er die Klinke.
    Ã–ffnet die Tür.
    Das Licht blendet ihn, obwohl das Kreuzgewölbe nicht sonderlich hell beleuchtet ist. Nur hinten, geradewegs zwischen den Säulen, ist eine Stelle in intensiveres Licht getaucht.
    Gabriel stockt der Atem.
    Eine pechschwarze Gestalt steht dort, mit dem Rücken zu ihm. Hinter ihr befindet sich ein grauer steinerner Altar. Und auf diesem Altar liegt jemand – eine Frau, halb verdeckt vom breiten Rücken der schwarzen Gestalt. Die Frau ist festgekettet an Armen und Beinen, liegt auf dem Rücken, in einem weißen, betörend schönen, aber irgendwie seltsamen Kleid, wie eine aufgebahrte Braut.
    Liz!
    Für einen Augenblick, kurz wie das Zerplatzen eines Ballons, hat Gabriel nur diesen einen Gedanken:
    Liz!
    Sein Blick fällt in den alten, übergroßen Spiegel, der hinter dem Steinaltar steht. Im unteren Teil spiegelt sich Liz in ihrem weißen Kleid, das um ihren rundlichen Bauch herum einen grotesken Ausschnitt hat, als würde gleich ein Kaiserschnitt an ihr vorgenommen werden. Der Spiegel zeigt ihre nackten Beine, die wie zwei Winkel aufragen, als säße sie in einem Gynäkologenstuhl. Zwischen ihren Schenkeln steht die schwarze Gestalt.
    Gabriel starrt mit blankem Entsetzen in den Spiegel, mitten in das Gesicht der schwarzgekleideten Gestalt.
    Es ist ein Gesicht, wie er noch nie eines gesehen hat. Das Gesicht eines Dämons, eine Fratze aus einem Horrorfilm, zweigeteilt, die eine Hälfte gleich einer vom Teufel mit Säure überschütteten Maske, die andere Hälfte schön, kultiviert, geradezu makellos und arrogant im Ausdruck. Das brutale Nebeneinander von Schönheit und Monstrosität lähmt Gabriel. Wie in Zeitlupe wendet sich das Gesicht Gabriel zu, die Augen im Spiegel starren ihn an, Olymp und Hades, und in dem unversehrten Auge, das ihn da im Spiegel anstiert, glüht ein rotes Licht, wie das Auge eines Monsters, das unmittelbar der Hölle entstiegen ist.
    Dieser eine Blick und das rote Brennen, wie der rot leuchtende Türspion in Vaters Labortür, der ihn so lange gelockt hatte, macht den Weg frei für das Wiedererkennen. Gleich einer Supernova, die alles in ein vernichtendes Glühen taucht, verdampft dieser Blick jede Wand, jede Grenze, jeden noch so harten und tiefen Schnitt in Gabriels Erinnerung. Wie heißes flüssiges Metall strömt alles in Gabriels Kopf an seinen Platz, zu einem großen, ganzen, schmerzhaften Erinnern, Fühlen und Wiedererleben.
    Die Tür ist offen. Sie zu schließen ist nun unmöglich.
    In nur einer einzigen Sekunde trifft ihn die ganze Wucht einer Nacht, die nie hätte sein dürfen. Einer Nacht, von der er immer nur wollte, dass sie nie war.
    Vor ihm steht der Mann, den er verdrängt hatte. Der Mann, von dem er später geglaubt hatte, ihn getötet zu haben; es ist der Mann, der im Labor seines Vaters verbrannt ist.
    Vor ihm steht der Polizist.

Kapitel 52
    Intrusion
    Elf. Elf Jahre alt. Niemand hatte ihn vorbereitet. Niemand hatte ihm gesagt, dass es Türen gibt, die besser geschlossen bleiben, so wie die Tür des Labors.
    Vaters Labor.
    Sein Zeigefinger näherte sich wie von selbst den Tasten des Videorecorders und drückte eine davon. Er zuckte zusammen, als es im Inneren des Gerätes laut klackte. Zweimal, dreimal, dann das Surren eines Motors. Eine Kassette! In dem Gerät steckte eine Kassette! Seine Stirn brannte. Fiebrig drückte er einen weiteren Knopf, dann noch einen. Der JVC antwortete ratternd. Störstreifen zuckten über den Monitor neben den Videorecordern. Das Bild zappelte noch einen Moment, dann war es da. Diffus, mit flimmernden Farben, unwirklich, wie ein Fenster zu einer anderen Welt.
    Unwillkürlich hatte er sich vorgebeugt – und zuckte sofort wieder zurück. Sein Mund wurde ganz trocken. Dasselbe Bild wie auf dem Foto! Aber hier bewegte sich alles. Er wollte den Blick abwenden, aber es war unmöglich. Er sog die stickige Luft durch den offenstehenden Mund ein und hielt den Atem an, ohne es zu bemerken.
    Die Männer, die Frauen … und die eine, ganz nah bei der Kamera … Er hatte seine Mutter schon nackt gesehen, aber andere Frauen oder Mädchen … Er wollte den Blick abwenden, aber es war

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