Schnitt: Psychothriller
hat er noch am selben Tag gekauft, an dem er Verena Schuster gefunden hat. Den Gebrauchtwagenhändler hat er in bar bezahlt, ohne zu handeln. Der Van hat nur noch drei Monate TÃV , und der Tacho zeigt knapp über 210  000 Kilometer, aber das spielt keine Rolle. Er braucht den Wagen nicht zum Fahren.
Vor dem Kiosk auf der anderen StraÃenseite ist alles ruhig. In dem leuchtenden offenen Ladenfenster lehnt der Schnauzbart, einen Ellenbogen auf den Tresen gestützt, qualmt und blättert in einer Zeitschrift. Zwischendurch wirft er abwechselnd einen Blick auf den Fernseher, der direkt rechts im Innenraum steht, und auf sein Handy, vermutlich um die Zeit zu checken. Es ist 23:38 Uhr. In 22 Minuten wird er den Rollladen herablassen und nach Hause gehen, pünktlich, wie jede Nacht.
Ein älterer Herr passiert hinter dem Chrysler die StraÃe und geht auf den Kiosk zu. Sein Dackel schnuppert an der StraÃenlaterne, an der er auch gestern und vorgestern schon geschnuppert hat, und hebt das Bein.
Dann kauft der Mann ein Bier im Kiosk und verschwindet wieder.
Der Schnauzbart schaut noch einmal auf sein Handy.
Fünf Tage nichts ⦠Das Warten bringt ihn um, aber er hat keine Wahl. Das hier ist bisher seine einzige und beste Spur.
Auf der anderen StraÃenseite nähert sich jemand aus der Gegenrichtung mit dem schleppenden Gang eines älteren Herrn.
⦠nichts als Rentner.
Als der Mann näher kommt, versucht Gabriel, sein Gesicht zu erkennen, doch über seinen Kopf ist eine Kapuze gezogen, die sein Gesicht verschattet. Auf Hüfthöhe baumelt eine Sporttasche.
Rentner?
Der Mann tritt an den Tresen des Kiosks und erntet ein überraschtes Lächeln des Schnauzbarts. Gabriel greift nach einem Nachtglas und versucht, das Gesicht des Mannes zu erkennen, doch er sieht nur die Ränder der Kapuze.
Der Schnauzbart reicht eine Flasche Schnaps über den Tresen, nimmt einen Geldschein entgegen und kramt umständlich in der Kasse.
Der Mann mit dem Kapuzenpulli dreht sich um, zuerst nach links, dann nach rechts, in Gabriels Richtung. Für einen kurzen Moment erfasst die Laterne sein Gesicht unter der Kapuze, und Gabriel erkennt die bleichen Züge eines Zwanzigjährigen mit einer schiefen Nase.
Jonas.
Er legt das Nachtglas beiseite, entriegelt die Schiebetür des Vans. Mit einem schleifenden metallischen Geräusch gleitet die Tür an der Wagenflanke entlang.
Jonas dreht den Kopf in seine Richtung und starrt misstrauisch zu dem dunkelblauen Chrysler hinüber. Der Schnauzbart legt das Wechselgeld auf den Tresen. Gabriel steigt aus, nimmt gemächlich Kurs auf den Kiosk, als wolle er ein letztes Bier für die Nacht kaufen. Zwischen ihm und Jonas liegen noch etwa dreiÃig Meter. Ein feiner Nieselregen hat eingesetzt.
Jonas steht da wie angewurzelt, seine Augen liegen im Schatten der Kapuze. Ein Fuchs in seiner Höhle.
Noch zwanzig Meter.
Jonas regt sich nicht, hält sich an der Schnapsflasche fest. Irgendetwas an Gabriels Erscheinung gefällt ihm nicht. Urplötzlich geht ein Ruck durch seinen Körper, und er ergreift die Flucht.
Gabriel sprintet los wie eine Raubkatze. Der Nieselregen legt sich auf sein Gesicht wie ein nasser Film. Jonas ist deutlich jünger als er â und deutlich schlechter in Form; er biegt um die nächste Hausecke, sieht sich um, entdeckt Gabriel, der rasch aufholt, und schleudert ihm die Schnapsflasche zwischen die Beine. Der Schwung des Wurfs bringt Jonas aus dem Gleichgewicht, er taumelt, verliert wertvolle Zeit. Mit einem Knall zerplatzt die Flasche auf dem Asphalt. Gabriel springt über die Scherben, greift in Jonasâ Kapuze, gleichzeitig drückt er ihn mit seinem ganzen Gewicht gegen die Hauswand. Der grobe Putz reiÃt Jonas die Wange auf.
»Au. ScheiÃe, Mann. Lass los!« Wie ein Tier versucht Jonas, sich loszuwinden; er zittert, sein Brustkorb pumpt vor Anstrengung. Gabriel wringt seine Faust in den Stoff der Kapuze, schnürt ihm die Luft ab und zwingt ihn in die Knie.
»Was sollân das, was wollân Sie?«, keucht Jonas. »Ich hab nix gemacht.«
»Klar, deswegen bist du ja auch stiften gegangen.«
Gabriel dirigiert ihn ein paar Meter zurück in einen dunklen Hauseingang und drückt ihn unsanft in die Ecke neben der Haustür. Der stechende Geruch des verschütteten Schnapses auf dem Gehweg steigt ihm in die Nase.
»Au! Mann , so âne ScheiÃe«, heult
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