Schnittmuster
Flur drehte sie sich zu ihm um und lächelte matt.
»Angenehme Träume, Jacob.«
»Die hab ich bestimmt.«
Sie lachte leise und irgendwie gefrustet, dann lief sie weiter.
Striker beobachtete, wie sie durch den Gang und die Treppe hinunterglitt. Er wünschte sich sehnsüchtig, sie wäre oben bei ihm geblieben. Als sich ihre Schritte auf den Stufen verloren, ging er zurück zur Couch. Schloss die Augen. Und konnte nicht einschlafen.
Abgesehen davon, dass er geil war, konnte er einfach nicht abschalten. Es war zu viel, was ihm durch den Kopf ging. Courtney. Und natürlich Laroche: Morgen würde der DC den Fall abschlieÃen und seine Waffe konfiszieren. Und ihn möglicherweise wieder auf die Abwesenheitsliste setzen. Latentes Stresssyndrom. Einen Bericht an seine Vorgesetzten schreiben.
Die Liste der Probleme war endlos.
Irgendwann schlief er erschöpft ein. Hatte Albträume. Von langen, blutig roten Korridoren und von maskierten Männern. Und von den Kids, die durch das nächtliche Dunkel schrien. Panisch seinen Namen riefen.
»Detective Striker!«
»Detective Striker!«
»Detective Striker!«
Doch er konnte sie nicht retten.
Donnerstag
27
6369 Meilen entfernt, im Vergnügungsviertel von Macau, Hongkong, saà der Mann mit dem Bambusrückgrat in einem Stuhl aus dunklem Walnussholz, dessen hohe, starre Lehne und Sitzpolster mit schwarzem Leder bezogen waren. Der Raum war von Zigarettenrauch vernebelt.
Es war zehn Uhr abends Ortszeit, und das Nachtleben begann eben erst im Hotel Lisbon. Fünfte Etage, Lotus Flower Room. Die tiefroten Wände und das verschnörkelte goldene Dekor sprachen für sich.
Der Mann mit dem Bambuskreuz war nicht allein. Sechs Männer saÃen mit ihm am Tisch. Vier waren Chinesen, zwei waren weiÃ. Die weiÃen Typen hatten sich bereits ausgeklinkt.
Das Spiel hieà Texas Holdem. Seitdem es in Hongkong bekannt war, verbreitete es sich wie ein Lauffeuer. Und der Mann mit dem Bambuskreuz war begeistert von diesem Spiel, weil er ein exzellenter Spieler war. Er war bereits bei vierzigtausend Riesen. Und es lief super.
Sein Pokerface half ihm gewinnen. Die Krankheit hatte dafür gesorgt. Seine Haut spannte sich straff über den kantigen Gesichtsknochen, dass seine Miene nicht den Hauch einer Regung zeigte. Mit Augen, schwarz glänzend wie Kohlen, belauerte er seinen Gegner.
»Ein Drink für Sie, Sir?«
Er drehte den Kopf und gewahrte die Kellnerin, ein zierliches Mädchen mit einem hübschen Gesicht und groÃen falschen Brüsten.
»HeiÃes Wasser.«
Die Kellnerin lief aus dem Zimmer, dabei klackerten ihre schwarzen Highheels hart über den Marmorboden.
Der junge Typ, der ihm gegenübersaÃ, nannte schlieÃlich eine Summe. Er wurde von einem anderen Mitspieler überboten, und der Mann mit dem Bambuskreuz überbot beide. Gegen Ende des Spiels waren über zweihunderttausend Riesen im Pot, Tendenz steigend, und die letzte Karte war der Hammer. Der Herzkönig vollendete sein Royal Flush. Er hatte die beste Hand seines Lebens.
Da klingelte sein Handy.
Es gab nur eine einzige Person, die diese Nummer kannte. Sie diente nur einem einzigen Zweck. Der Mann mit dem Bambuskreuz legte seine Karten flach auf den Tisch und nahm ab. Er lauschte weniger als zehn Sekunden, dann sagte er »Ja« und hängte auf.
Mit dem Royal Flush in der Hand und über vierhunderttausend Dollar im Pot stand der Mann mit dem Bambuskreuz auf und sagte »Zeigen«. Ohne ein weiteres Wort nahm er den Aufzug nach unten, wo sein Fahrer ihn schon im Foyer erwartete.
Er würde zwölfeinhalb Stunden bis Vancouver, Kanada, brauchen, eine verdammt lange Zeitspanne.
Jede Minute war kostbar.
28
Als das Telefon klingelte und Striker um halb fünf in der Frühe weckte, war er dankbar für die Unterbrechung. Er setzte sich ruckartig auf und angelte nach seinem Handy. »Detective Striker.«
Der tiefe Bariton war rau und weich wie in Ahornsirup getauchtes Sandpapier. »Wach auf, Schneewittchen.«
»Rothschild?«
»Schwing deinen Arsch aus dem Bett.«
Striker blinzelte, verblüfft, die Stimme seines ehemaligen Sergeant zu hören. Er warf einen Blick auf die Wanduhr.
»Heiliger Strohsack, Mike, es ist nicht mal fünf â was zum Teufel fällt dir ein?«
»Schwing die Keulen. Und zwar dalli. Ich bin am Fraser River. Auf den Docks, südlich der Marina, hinter dem
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