Schnittstellen
schlafen und die Nacht noch dazu. Ich schlafe gern. Schlafen ist, als wäre man tot. Nur, dass man leider wieder aufwacht. Aber das weiß ich ja nicht, während ich schlafe.
Meikes Tagebuch
Ich liege auf dem Rücken in meinem Bett. Es ist dunkel. Es ist spät. Ich kann nicht schlafen.
»Du bist hässlich. Du bist hässlich. Du bist hässlich.«
»Ich weiß.«
»Du bist hässlich und scheiße, Meike, du bist hässlich und scheiße und wertlos.«
»Ich weiß es! Ich weiß es doch! Ich bin hässlich und scheiße und wertlos. Ich weiß es.«
»Dann handele danach, wenn du es weißt. Du bist hässlich, Meike, guck dich an, du bist ein hässliches Monster, du solltest nicht hier sein. Dich will niemand! Niemand! Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen, du bist so nutzlos und hassenswert. Du solltest einfach verrecken.«
»Ich weiß es!«
Ich weiß, dass ich sterben sollte. Ich stimme dieser Hexe in meinem Kopf doch zu. Sie ist eine Hexe. Eine Hexe und der einzige Mensch, der mir die Wahrheit über mich sagt. »Ich weiß es, ich weiß es, ich weiß es«, schreie ich in meinem Kopf, ich schließe die Augen so fest ich kann und versuche, ihre Stimme zu übertönen.
Ich will schlafen! Tränen drücken sich zwischen meinen Augenlidern hervor und rinnen über die Wangen. Ich weine und zittere und mein Körper verkrampft sich. Ich atme nicht mehr. Ich weine nur. Mein Körper verklumpt zu einem Stein. Meine Kehle ist zu und ich atme nicht. Ich weine nur. Dann löst sich die Spannung. Plötzlich. Ich atme ganz tief ein. Ich atme schnell. So schnell ich kann. Nicht denken. Nicht denken. Mein Atmen wird laut und hektisch. Ich höre sie nicht mehr. Wie lange bleibt es ruhig? Ich beruhige mich ein wenig. Ich setze mich auf. Gehe zu meinem Tisch, öffne eine Schublade und hole die Rasierklingen heraus. Ich lege mich wieder ins Bett, auf den Rücken und blicke nach oben an die Decke. Eine Rasierklinge in der rechten Hand. Ich lege den linken Arm auf meinen Bauch. Ein Schnitt. Noch ein Schnitt. Noch ein Schnitt. Ein paar Schnitte. Blut. Ich spüre, wie die Decke immer wieder an meinem Arm kleben bleibt. Das reicht schon. Ich setze mich auf. Ich werfe die Rasierklinge neben mein Bett und greife nach dem Pullover. Ich ziehe ihn über. Ich drehe mich auf die Seite, die Wange auf meinen Händen und horche. Nichts. Endlich schlafen. Die Hexe ist ruhig. Jetzt kann ich schlafen. Bekenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
Anja
Nein. Bitte nicht. Das nicht. Ich fahre zur Hölle. Das nimmt den Boden weg, auf dem man steht. Fressen und Kotzen, ja, aber sich verletzen, nein, nein, das tut sie nicht. Ich kenne meine Tochter. Kenne ich sie wirklich?
Meike geht bis zum Äußersten.
Dabei war es nur ein Zufall. Die dunkelroten, wulstigen Streifen auf dem weißen Oberarm, daneben zwei hellere.
»Was ist das, Meike?«
Ich weiß, was es bedeutet. Aber ich möchte es nicht begreifen. So schlecht kann es dem eigenen Kind doch nicht gehen, dass es zu solchen Mitteln greift.
»Das geht dich gar nichts an!«
Ich versuche, die Ruhe zu bewahren, obwohl ich entsetzt bin. Ihre schöne weiße Haut. Ihre zarte, duftende Haut. Wie kann sie die … zerschneiden? Es tut mir körperlich weh. Mein Kind kam auf die Welt. Unversehrt zu seinem, zu unserem Glück, denn dieses Glück haben nicht alle Kinder und Eltern.
»Doch! Es geht mich etwas an!« Ich gebe mir eine feste Stimme, obwohl ich mich innerlich wie aufgelöst fühle. »Du bist mein Kind und du bist minderjährig. Wenn du dir schadest, geht es mich etwas an!«
Meike lacht. Es ist ein fremdes, überhebliches Lachen. »Das wollen wir mal sehen!«, spottet sie. »Was willst du denn dagegen machen? Den ganzen Tag neben mir herlaufen? Und nachts?«
Mir fällt nichts mehr ein. »Aber warum machst du das denn? Wie kannst du deine Haut zerschneiden? Andere sind froh über ihre glatte Haut oder sehnen sich danach, wenn es nicht so ist. Hab ich dir nicht von Kira erzählt, dem Mädchen mit den Brandnarben –«
»Das ist etwas ganz anderes!«, fällt mir Meike ins Wort.
»Aber wieso? Wieso sind Unfallverletzungen und Verletzungen, die man sich selbst zufügt, etwas anderes?«
»Das verstehst du nicht!« Meike hat sich längst einen Pullover übergezogen.
»Aber ich will es verstehen! Lass uns darüber sprechen!«
»Nein!«
Meike geht in ihr Zimmer. Ich bleibe im Wohnzimmer und kann nicht einmal weinen.
Meike
Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel bringt, sich zu ritzen. Ich hätte nicht
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