Schnupperküsse: Roman (German Edition)
mit meinem Umzug aufs Land verkraften müssen. Karen anzurufen bringt nichts, denn ich würde mich durch sie nur noch deprimierter fühlen. So rufe ich Summer an.
»Weißt du eigentlich, wie viel Uhr es ist?«, sagt sie, als sie endlich den Hörer abnimmt.
»Tut mir leid, ich habe völlig mein Zeitgefühl verloren.« Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich Angst, dass sie den Hörer auflegt, doch dann sagt sie: »Was ist los? Es muss etwas ganz Schlimmes passiert sein, wenn du mich um diese Uhrzeit anrufst!«
»Ich muss mit jemandem reden – David will das Sorgerecht. Er möchte, dass die Kinder bei ihm und Alice leben.«
»Dieser miese Dreckskerl!« Ich hatte gedacht, unsere Freundschaft würde langsam zerbröckeln, doch Summer ist für mich da. »Du musst unter Schock stehen. Wissen es die Kinder schon?«
»Ich werde es ihnen nicht sagen. Das will David tun, wenn sie das nächste Mal bei ihm sind. An sich muss ich heute auf den Bauernmarkt. Ich habe einen Stand, aber das stehe ich nicht durch. Und mit Guy bin ich heute Abend noch zum Essen verabredet, aber das sage ich auch ab.«
»Wieso?«
»Damit ich mir meine Chancen nicht verspiele, die Kinder doch behalten zu können. Würde ich heute Abend mit Guy ausgehen, weiß das morgen früh halb Talyton. So ist das nun mal hier. Und ich möchte nicht, dass David irgendetwas erfährt.«
»Wie sollte er das denn herausfinden? Er kennt doch niemanden dort.«
»Die Kinder könnten es aber herausfinden und beiläufig erwähnen.«
»Jennie, ich denke, du solltest mit einem Anwalt sprechen, damit du weißt, was dich erwartet«, sagt Jennie.
»Du hast Recht.«
»Wenn ich irgendetwas für dich tun kann oder du jemanden zum Reden brauchst, ruf mich an, egal, wann, ob Tag oder Nacht«, versichert sie mir. »Wenn hier jemand als Mutter geeignet ist, dann du! Und lass dir ja nicht von irgendjemandem etwas anderes einreden! Bleib stark! Ich ruf dich morgen an, um zu sehen, wie’s dir geht.«
Bleib stark! Summers Worte hallen in meinem Kopf wider, nachdem sie aufgelegt hat. Was soll ich nur machen? Wie könnte ich meine Tauglichkeit als Mutter besser unter Beweis stellen, als dass ich einfach wie bisher weitermache? Und so beschließe ich wie geplant auf dem Markt meine Kuchen zu verkaufen.
Ich wecke zuerst Adam, dann Georgia und Sophie und sage ihnen, dass sie das Wochenende nicht in London verbringen, sondern mit mir zum Bauernmarkt fahren und mir dort aushelfen.
»Dad schafft es dieses Wochenende nicht. Es ist ihm etwas dazwischengekommen.« Ich gehe nicht weiter darauf ein, und sie scheinen hinzunehmen, dass es mit Davids Arbeit zu tun haben muss.
Adam willigt zwar ein, gegen eine prozentuale Beteiligung an den Einnahmen auf dem Stand zu arbeiten, weigert sich aber, eine Schürze anzuziehen, was mich nicht überrascht.
»Pink würde dir aber gut stehen«, zieht ihn Georgia auf. Da die weiblichen Copelands ihm zahlenmäßig überlegen sind, verzieht er sich bald mit ein paar anderen Jungs seines Alters, um ein Schwätzchen zu halten, kehrt dann aber wieder zurück und fragt nach drei Lebkuchenmännern.
»Ich sage ihnen, sie müssen im Gegenzug Reklame für Jennie’s Cakes machen.«
»Na gut …« Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch mehr Reklame brauche, denn neben einer weiteren Anfrage für eine Hochzeitstorte – dieses Mal eine traditionelle – verkaufen sich die Lebkuchenfiguren in einer solchen Windeseile, dass wir bald mit unserem letzten Haferkeks am Stand stehen. Außerdem habe ich dieses Mal mehr Geld und weniger Sachgüter eingenommen. Neben einem handgemachten Käse, einer Tüte Schaummäuse und einem Glas Honig auch noch drei Flaschen Bier, die ich Guy schenken werde.
Als wir wieder zu Hause sind, werfe ich mir einen Mantel über, ziehe die Gummistiefel an und bringe die Flaschen hoch zu Guy. Die Kinder und Lucky nehme ich mit, da ich David nicht noch mehr Munition für seinen Sorgerechtsstreit liefern möchte, denn auf den wird es hinauslaufen. Ich bin eine gute Mutter.
Adam läuft die Auffahrt hoch und kickt dabei einen Stein vor sich her. Die Mädchen gehen links und rechts neben mir an der Hand. Irgendwo in der Ferne brüllt eine Kuh, und ein Kalb antwortet ihr. Von Südwesten ziehen Wolken herein und bringen Nebel und Nieselregen. Als wir auf dem Hof ankommen, sehe ich Guy auf dem Sammelplatz der Kühe vor dem Melkstand, wo er knöcheltief in einem Gemisch aus Schlamm und Mist steht. Eine der Kühe befindet sich in einem schweren
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