Schnupperküsse: Roman (German Edition)
aufpassen, und meiner Freude darüber, eine Ausrede zu haben, Guy zu sehen. Mir ist jede Art von Entschuldigung recht, um mit meinem großartigen – darf ich es wagen, zu glauben – Freund Zeit zu verbringen.
Freund? Das hört sich eigenartig an, und ich komme mir wieder vor wie siebzehn, nicht wie vierzig.
Seit die Kühe nicht mehr zweimal am Tag den Weg entlanggehen, wächst in der Mitte wieder mehr Gras. Auf den Pfützen ist Eis, das in der blassen Sonne glitzert und unter meinen Schritten knackt. Auf den Bäumen ist kein Laub, die Äste sind kahl, und an den Baumstämmen rankt der Efeu. Als ich den Hof erreiche, steht Guys Land Rover da, daneben ein anderer Allradwagen, den ich nicht kenne, doch keine Spur von Adam oder Guy. Napoleon, der Hahn, sitzt auf seiner Stange an der Wand vor der Scheune, in der sich die Kühe über Winter befinden, und kräht. Ein paar Hühner laufen über den Hof und picken vergeblich nach gefrorenem Heu und Körnern. Eine Kuh muht halbherzig, und in der Ferne ist das Brummen eines Quads zu hören.
Ich gehe seitlich am Haus vorbei über den Garten, schiebe den Riegel des Tors zurück, hinter dem sich ein steiles Feld befindet, das mit einer Hecke abschließt. Mein Blick wandert hoch auf den Hügel, und da sehe ich Adam, wie er mit einem Quad hin und her flitzt. Sein Haar leuchtet in der Sonne, als er eine scharfe Kurve fährt, den Abhang herunterrast und dabei so beschleunigt, dass er durch die Luft fliegt. Mein Herz scheint zu flattern und nur durch meinen Hals aufgehalten zu werden, bis er und das Quad wieder festen Boden unter den Füßen haben.
»Adam«, schreie ich ihn an. »Komm sofort von dem Ding runter!«
Er reißt das Quad herum, bremst ab und bleibt genau vor mir stehen. Er starrt mich an, seine Hände liegen auf dem Lenker.
»Was denkst du eigentlich, was du hier machst?«
»Herumfahren und ein bisschen Spaß haben. Im Gegensatz zu dir, Mum.«
»Hat Guy dir überhaupt erlaubt, das Quad zu nehmen?«
»Er sagte, ich könnte es jederzeit benutzen.«
»Weiß er, dass du hier bist?«
»Weiß nicht.«
»Komm sofort von der Maschine runter, Adam!«
»Aber!«
» Jetzt! «, fahre ich ihn an. »Und geh nach Hause!«
Adam steigt von dem Quad ab und stellt sich daneben.
»Kann ich hierbleiben und die Kühe melken?«, fragt er. Er spielt den Reumütigen. Alles nur Show, denke ich mir.
»Das ist ja wohl nicht dein Ernst, oder? Du solltest entweder in der Schule oder in deinem Zimmer sein und deine Hausaufgaben nachholen. Abgesehen davon hast du Hausarrest, erinnerst du dich?«
»Mum, wann bestimmst du eigentlich mal nicht mein Leben?«, murmelt er. »Wenn ich die Kühe nicht melken darf, gehe ich zurück nach London, und du wirst mich nicht davon abhalten. Ich werde allein leben. Ich hasse es hier. Ich hasse dieses beschissene Kaff.«
»Ich hab’s kapiert«, sage ich kurz angebunden.
»Ich hasse mein Leben. Genau wie dich .«
»Adam, wir leben nun mal hier und müssen das Beste daraus machen. Mehr sage ich dazu nicht.«
Er ist stinksauer auf mich. Ich liebe ihn, doch im Moment nicht wirklich.
»Geh nach Hause!«, fordere ich ihn noch einmal auf. »Und nimm Lucky mit!«
»Wo gehst du hin?«
»Ich schaue nach, ob Guy da ist.« Wovon ich allerdings ausgehe, denn sein Land Rover steht da. Außerdem bin ich neugierig, wem der andere Wagen gehört. Ich lächle in mich hinein, da mir bewusst wird, dass ich mich gerade als neugierige Nachbarin entpuppe. Bevor ich auf Guys Hofe gehe, vergewissere ich mich, dass Adam den richtigen Weg einschlägt. Als ich die Eingangstür erreiche, die einen Spalt offen steht, schnappe ich Stimmen auf. Es sind die von Guy und die einer Frau. Ich drücke die Tür behutsam auf, bahne mir meinen Weg um ein paar Hindernisse, die auf dem Boden im Hauswirtschaftsraum liegen, wie zum Beispiel schmutzige Stiefel und Eimer, bis ich mit klopfendem Herzen die Küche erreiche, wo Guy in inniger Umarmung steht …
»Guy!«, schreie ich entsetzt auf. »Was geht hier vor?« Die Frage ist nicht wirklich nötig, da die Situation für mich völlig eindeutig ist. Er hält eine Frau in den Armen und küsst ihr Haar. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, und mir ist auch egal, wer sie ist, denn mein wunderbarer, geduldiger, netter und fürsorglicher Freund hat sich gerade als ein großer Trugschluss herausgestellt.
»Jennie, es ist nicht so, wie du denkst«, versucht Guy mir zu erklären und schaut mich weder überrascht noch schockiert an. Er hat noch nicht
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