Schnupperküsse: Roman (German Edition)
Doch er fährt kommentarlos fort. »Warum kommt ihr nicht vorbei und schaut mir mal beim Melken zu?« Er lächelt. »Ich denke, der Nachmittag bietet sich da eher an als das morgendliche Melken um fünf Uhr – da müsst ihr euren Schönheitsschlaf nicht unterbrechen.« Ich frage mich, warum er mich bei dieser Bemerkung anschaut.
»Ich finde, wir sollten noch ein paar Tage warten, bis wir uns eingelebt haben«, sage ich. »Granny und Granddad fahren Ende der Woche wieder nach Hause. Wir kommen danach mal vorbei.«
»Dem Ereignis sehe ich mit Freuden entgegen«, erwidert er förmlich. »Gibt es sonst noch etwas, dass Sie von hier wissen möchten?«
Ich erfrage für Adam die Busverbindungen.
»Oh ja, es fahren Busse in die Stadt. Zwei Mal die Woche.«
»Als wir noch in London wohnten, fuhren häufig zwei Busse auf einmal«, bemerkt Georgia.
»Die Chance, dass das hier passiert, tendiert gegen null«, meint Guy. »Es fahren auch keine Züge – wir haben hier in Talyton keinen Bahnhof.«
»Ich werde bald Auto fahren können«, verkündet Adam.
»So bald ist das nun auch wieder nicht – du bist erst vierzehn.« Und wenn es nach mir ginge, würdest du das Autofahren auch erst mit vierzig lernen, schießt es mir durch den Kopf, obwohl ich einsehen muss, dass er hier draußen ein Auto brauchen wird. Genauso wie ich einsehen muss, dass ich im Hinblick aufs Autofahren kein gutes Vorbild bin. Ich bin zu ungeduldig, und ich beschließe, das zu ändern.
»Vielen Dank für den Kuchen.« Guy schüttelt die Hand meines Vaters und küsst meine Mutter auf die Wange. Ich halte mich vornehm zurück.
»Danke für den Apfelwein«, sage ich.
»Ich kenne den Weg«, sagt er, doch ich begleite ihn bis zum Tor, das ich geflissentlich hinter ihm schließe. Er bleibt auf dem Weg stehen. »Ich bewundere Ihren Optimismus, Jennie, aber ich könnte wetten, Sie verkaufen das Haus innerhalb eines Jahres wieder und ziehen zurück nach London.«
Wie kann er so etwas sagen, er kennt mich doch gar nicht, denke ich.
»Tut mir leid, Sie zu enttäuschen, aber ich habe nicht vor, zurück in die Stadt zu ziehen. Das hier ist ab jetzt mein Zuhause.«
»Dann, gute Nacht«, sagt er, dreht sich auf dem Absatz um und spaziert davon.
»Gute Nacht«, erwidere ich kurz.
»Er ist sehr offen«, sage ich, als Mum und ich, nachdem die Kinder ins Bett gegangen sind, über Guys Besuch sprechen.
»So wie deine Kinder, meine Liebe.«
»Er hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg.«
»Das ist nicht verkehrt«, meint Mum. »Besser als ein Mann, der nicht meint, was er sagt, oder nicht sagt, was er meint.« Diese Bemerkung ist natürlich auf David gemünzt.
»Ich glaube, ich gehe auch ins Bett«, sage ich, nachdem ich immer wieder gähnen muss. »Ich weiß nicht, ob es an dem unebenen Fußboden oder an dem Apfelwein liegt, dass sich in meinem Kopf alles dreht.«
»Gute Nacht, mein Kind«, sagt Mum.
Ich gehe nach oben. Meine Eltern sind von Guy ganz angetan, ich aber nicht, und das werde ich auch nie sein.
Als ich in meinem Bett liege, schaue ich aus dem Fenster hinaus zum Hof der Uphill Farm, wo kein Licht brennt. Eine Kuh brüllt in der Dunkelheit und durchbricht die Stille. Ich greife nach der Lehmwand neben mir. Sie ist kühl und uneben, fühlt sich aber dennoch fest unter meinen Händen an. Abgesehen davon, dass alle Wände schief und krumm sind und somit kein einziges Möbelstück flach anliegen wird, sind sie auch noch zwischen einem halben und fast einem Meter dick, was jedoch im Vergleich zu meinem Panzer, den ich mir im letzten Jahr angelegt habe, nichts ist.
Mum träumt davon, mich wieder in den Armen eines anderen Mannes zu sehen, und ich vermute, sie sieht in Guy bereits den passenden Kandidaten, doch werde ich keinen Mann mehr an mich heranlassen. Dafür habe ich schon gesorgt.
4
Marmeladentörtchen
Heute fahren meine Eltern wieder nach Hause. Ich komme mir wie beraubt vor.
Meine Mutter hat Tränen in den Augen, als sie losfahren, und mein Herz zieht sich vor Schmerz zusammen, womit ich nicht gerechnet hatte. Wenigstens hat sie am Schluss noch ihre Meinung im Hinblick auf meine verrückten Pläne geändert, und ich habe das Gefühl, hundertprozentig von ihr unterstützt zu werden. Sie hatte anfangs nichts unversucht gelassen, mich von meinem Vorhaben abzubringen, und mir die Realität vor Augen geführt, bevor ich mich zu dem Schritt entschloss. Sie sagte, ich sollte mich am Riemen reißen und aufhören, verrückte Pläne zu
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