Schnupperküsse: Roman (German Edition)
Wangen liefen, heiße Tränen, die nach Salz, Eiern und Marsalawein schmeckten.
»Jennie«, sagte David, und ich konnte die Verzweiflung in seiner Stimme hören. »Bitte, wein nicht …« Er warf den Kopf in den Nacken und schaute zur Decke. »Mach keine Szene. Die Kinder.«
»Die Kinder?« Seine plötzliche Sorge um unsere Kinder schürte meine Wut. »Schade, dass du nicht an die Kinder gedacht hast, als du anfingst, diese Frau zu vögeln …«
»Schhh! So war das nicht.« David schaute mich finster an. »Gott, bei dir hört sich das so schäbig an.«
»Aber genau das ist es! Es ist schäbig, billig und widerlich.« Ich starrte ihn wütend an. » Du bist widerlich. Du bist mit mir verheiratet … und das seit vierzehn Jahren, erinnerst du dich?« Ich hielt kurz inne, als ein einziger zusammenhängender Gedanke im Chaos meiner geistigen Verfassung hervortauchte. »Ist sie verheiratet?«
»Nein. Sie ist …« David zupfte einen nicht vorhandenen Fussel von seinem Pullover und schaute mich wieder an. Auf seinem Gesicht lag so etwas wie ein Grinsen, zumindest erschien es mir so. Als ob er auf sich selbst stolz wäre. »Sie ist alleinstehend. Und neu in der Firma.«
»Hätte ich mir denken können, dass du sie da kennengelernt hast. Du verbringst ja die meiste Zeit deines Lebens dort.«
»Ziemlich jung ist sie auch.«
»Ziemlich jung?« Ich ging auf ihn zu. »Was meinst du mit ziemlich jung?«
»Würdest du das bitte hinlegen?« Ich folgte Davids Blick auf meine Hand, in der sich eine Flasche Merlot befand. »Du verschüttest ihn gerade.«
Ich konnte nicht glauben, dass seine einzige Sorge dem kostbaren Wein galt, während ich so wütend und aufgebracht war, dass ich ihm die Flasche am liebsten über den Kopf gezogen hätte, denn als er sagte jung, meinte er damit nicht nur ein paar Jahre jünger als ich, sondern richtig jung.
»Wie jung?«, knurrte ich ihn an.
»Vierundzwanzig.«
Zuerst dachte ich, ich hätte mich verhört.
»Vierunddreißig?«
»Vierundzwanzig«, bestätigte mir David.
»Aber dann ist sie –« Ich rechnete schnell nach und kam zu einem fürchterlichen Ergebnis. »Sechzehn Jahre jünger als du und fünfzehn Jahre jünger als ich.« Sie ist jünger als ich, ihr Körper fester und ihr Busen straffer. Sie hat keine Falten und keine grauen Haare, schoss es mir durch den Kopf. »Du wirst eine von diesen Witzfiguren abgeben, wenn du alt bist, und dich eine nichtssagende Blondine im Rollstuhl durch die Gegend fahren wird. Sie ist doch blond, oder? Da bin ich mir ganz sicher.«
»Das ist doch völlig egal, Jennie.«
Das war es, und für den Bruchteil einer Sekunde stimmte ich ihm zu. Er verließ mich für eine Jüngere, und es gab nichts, was ich hätte tun oder sagen können, um das zu verhindern, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich sah ein, dass die Lage hoffnungslos war. Und das nach allem, was ich für ihn getan hatte, dieser undankbare … Schleimer. Manchmal wundere ich mich über mich selbst. Jahrelang war ich zur Schule gegangen und hatte studiert, und das Einzige, was mir einfiel, war: Schleimer.
Ich fühlte mich plötzlich ausgelaugt und erschöpft. Etwas hatte sich in mir unwiderruflich verändert. Ich war nicht mehr dieselbe. Mein ganzes Dasein, meine Identität war in erster Linie auf meine Ehe und in zweiter Linie auf meine Familie ausgerichtet gewesen. Das Leben, das ich bisher geführt hatte, war vorbei, und irgendwie musste ich wieder Kraft und innere Stärke finden, um weiterzumachen und zu mir selbst zu finden.
Es ist Samstagmorgen, und ich bringe Lucky zur Tierärztin. Ich gehe zu Fuß. Mein Weg führt mich zuerst über die Felder an einem Landgasthof, dem Talymill Inn vorbei, und dann weiter durch das Flusstal in die Stadt. Als ich bei der Tierärztin ankomme, begrüße ich die Dame am Empfang, eine Frau zwischen sechzig und siebzig, die eine Perücke und eine Brille mit einer regenbogenfarbenen Fassung trägt.
»Hallo«, sage ich. »Ich bin Jennie Copeland, und das hier ist Lucky. Ich habe gestern angerufen.«
»Guten Morgen, Jennie«, grüßt mich die Rezeptionistin lächelnd zurück, und ich sehe Reste von Lippenstift auf ihren Zähnen. »Was für ein süßer, kleiner Hund«, fährt sie fort und schaut über die Theke der Anmeldung. »Nur um mich zu vergewissern, Lucky ist bei keinem anderen Tierarzt gemeldet, oder? Wir möchten nämlich niemandem auf die Pfoten treten, sozusagen.«
»Wendy von der Tierhilfe Talyton sagte mir, er wäre schon in die Kartei von
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