Schock
geneigte Kopf, der konzentrierte Ausdruck ihres Gesichts, der gebeugte Rücken, aufgehellt vom Lichtschein der Fenster, von denen man auf die Third Avenue hinabsah – alles das war vertraut und gab ihm Sicherheit. Es war sehr still in der Wohnung, und plötzlich begann das Mädchen, das mit in die Hüfte gestützten Händen den Kaffeetopf beobachtete, vor sich hinzusummen. Von draußen hörte er das klebrige Schwirren der Autoreifen auf dem Asphalt. Der Regen, die Bücherregale, die das Couchbett umgaben, das Summen des Mädchens, das Surren der Reifen, die Fensterscheiben, die sich im reflektierten Neonlicht der Straße auflösten – alles schien aus einem Guss, harmonisch, heiter. Er grinste, streckte sich, die Hände unter dem Kopf, und versuchte, die Titel der Bücher von unten zu lesen.
»Hast du die alle gelesen?« fragte er sie.
»Die meisten«, antwortete sie aus der Küche. »Wie fühlst du dich?«
»Grandios.«
»Ich auch«, sagte sie und lächelte zu ihm herüber. Dann wandte sie sich wieder dem Topf zu. Er drehte sich auf den Bauch und schaute zu den Büchern hinauf.
Die gesunde Gesellschaft.
Grundlagen und Praxis der Befragung.
Unsere inneren Konflikte.
Die neurotische Persönlichkeit heute.
Der Zwang zum Geständnis.
Gesprächstechnik.
Psychoanalytische Voraussetzungen der Jugendkriminalität.
»Und wo ist das grundlegende Werk?« fragte er.
»Welches?« Sie wandte den Kopf, ein kleines fragendes Lächeln auf den Lippen, die Hände in die Seiten gestemmt.
»Freud.«
»Ach so! Habe ich unten im Büro.«
»Wirklich schade, daß ich nicht Edward Vossler bin«, sagte er vergnügt. »Ich wäre ein großartiges Studienobjekt.«
»Wieso? Und wer ist Edward Vossler?«
»Ein ausgebrochener Irrer.«
»Ach, wirklich?«
»Hast du die Zeitungen nicht gelesen?«
»Nein. Von wo ist er denn ausgebrochen?«
»Central Islip.« Er hielt inne. »Eine Zeitlang dachte ich schon, ich wäre es.«
»Und wie bist du darauf gekommen, daß du es nicht bist?«
»Ich bin einem echten Irren begegnet.«
»Das ist immer ein guter Maßstab. Trinkst du den Kaffee sehr heiß?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Wenn du willst, ist er fertig.«
»Ja«, sagte er und dehnte sich behaglich. »Ja, ich will. In der ganzen Welt gibt es nichts, das ich jetzt lieber hätte als eine gute Tasse Kaffee.«
»Fühlst du dich eigentlich jedes Mal so?« fragte sie.
»Wann?«
»Nachdem …« Sie zuckte die Achseln. »Nachdem du mit einem Mädchen im Bett warst.«
»Wie wirke ich denn?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube – sanft. Dein Gesicht ist ganz weich. Du wirkst …« Sie zuckte wieder die Achseln und setzte sich an den Tisch. »Nun – einfach sanft.« Nackt, wie er war, stand er auf und ging in die Küche. Dann stand er hinter ihrem Stuhl, über sie gebeugt, die Hände auf ihren Brüsten, und küßte ihren Hals. »Hallo«, flüsterte er.
»Was ist?«
»Ich liebe dich.«
»Okay.«
»Eigentlich müsstest du jetzt sagen, daß du mich auch liebst.«
»Das tue ich doch.«
»Was tust du?«
»Ich liebe dich auch.«
»Dann sag es.«
»Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.« Sie hielt inne. »Auch.«
»Und warum schenkst du mir keinen Kaffee ein, wenn du mich so sehr liebst?«
»Ich warte darauf, daß du dich hinsetzt.«
»Brauche ich dazu eine Krawatte?« fragte er, und sie lachte. »In dem Fall müßte ich mir eine vom Oberkellner leihen.« Immer noch lachend, nahm sie den Topf vom Herd. Sie schenkte ihm Kaffee ein, legte dann sanft die Hand auf seinen Scheitel, beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Stirn.
»Entschuldigst du mich für einen Augenblick?« fragte sie.
»Natürlich«, sagte er.
Er beobachtete, wie sie den Raum durchquerte. Die Badezimmertür schloß sich hinter ihr. Dann hörte er, wie sie Wasser laufen ließ.
Vor ihrer Hochzeit hatten sie daran gedacht, eine Wohnung mit gemeinsamem Badezimmer für mehrere Mieter zu nehmen; doch L.J. hatte erklärt, das eigene Badezimmer wäre für eine Jungverheiratete Frau ungemein wichtig. L.J. war damals schon über ein Jahr mit dem Mädchen aus Boston verheiratet; infolgedessen nahmen Buddwing und Grace ohne weiteres an, daß er wußte, wovon er redete. Sie hatten die teurere Wohnung mit eigenem Badezimmer an der Third Avenue genommen, sich aber noch monatelang nach ihrem Einzug gefragt, was zum Teufel L.J. wohl gemeint haben mochte. Wozu brauchte eine Jungverheiratete Frau ihr eigenes Badezimmer? Und schließlich war es Grace gewesen,
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