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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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hier, also kommen Sie schon herein. Ich mache Ihnen eine Tasse Kaffee.«
    »Aber …«
    »Kommen Sie.«
    »Aber – ich bin nicht Sam«, sagte er.
    »Und wer sind Sie?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wie können Sie dann wissen, daß Sie nicht Sam sind?«
    »Bin ich es etwa?«
    »Wie soll ich das wissen?«
    »Ich meine – kennen Sie mich?«
    »Sie sind mir in meinem Leben noch nicht begegnet.«
    »Folglich kann ich auch nicht Sam sein, oder?«
    »Sie können sein, wer Sie wollen. Napoleon, von mir aus. Aber jetzt entschließen Sie sich schon, zum Teufel, sonst wecken wir das ganze Haus.« Sie hielt inne und musterte ihn. »Ja oder nein? Rein oder raus?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich glaube, ich kann eine Tasse Kaffee brauchen«, sagte er.
    Gloria lächelte und sagte: »Dann kommen Sie herein.«
    Er folgte ihr in die Wohnung. Der gesteppte Morgenrock war blau und spannte sich über eine breite Rückfront, die sie beim Gehen auffällig schwenkte – fast wie ein Brauereipferd. Er entdeckte, daß sie winzige blaue Satinpantöffelchen mit blauen Pompons trug. Gleich hinter der Tür hing ein kleiner Spiegel an der Wand; sie hielt inne, musterte sich kurz, warf ihm dann über die Schulter einen koketten Blick zu und sagte: »Kommen Sie.« Ihre Stimme klang betont leicht, ein wenig herausfordernd, einladend. In diesem Augenblick wäre er am liebsten gegangen – aber ihre Nummer stand in seinem kleinen schwarzen Buch. Als er ihr in die enge Wohnung folgte, spürte er, wie ein seltsamer Wettstreit in seinem Bewußtsein vorging, eine Art Tauziehen der Erinnerungen, bemüht, ihn entweder tiefer in das Vergessen hineinzuziehen oder ihn zu voller Erkenntnis seiner selbst und seiner Lage zu bringen. Er begriff: verfiel er dem einen oder dem anderen, so war er endgültig verloren. Nur wenn er beiden Kräften, die in seinem Unterbewusstsein zerrten, das Gleichgewicht hielt, konnte er überleben. Während es ihn drängte, vor diesem schlampigen Frauenzimmer im blauen gesteppten Morgenrock mit blauen Pomponpantöffelchen die Flucht zu ergreifen, befahl ihm sein Instinkt, zu bleiben und sie auszuhorchen. Wie kam ihre Nummer in seiner eigenen Handschrift in sein Buch, in seine Jackentasche? Er mußte es wissen, wenn er es auch nicht wissen wollte; in ihm spannte sich das Tau unter dem Zug widerstrebender Kräfte. Er folgte ihr in einen kleinen Wohnraum, mit einer Polstergarnitur möbliert – ein Sessel in braun, der zweite in gold, die Couch dunkelblau mit schwer geschnitzten Mahagonibeinen und Schondeckchen auf Arm- und Rückenlehnen. Über der Couch hing ein gerahmter Druck – venezianische Gondeln – an der Wand; ein weiterer Druck – eine Spanierin, die Mantilla über dem Kopf, zur Gitarre singend – hing über dem braunen Sessel, in dem er nun Platz nahm. Gloria setzte sich ihm gegenüber auf die Couch, zog die Beine unter sich und breitete die Zipfel des Morgenrocks über die Knie. Sie lächelte mütterlich und sagte: »Kaffee ist aufgesetzt. Er wird in ein paar Minuten fertig sein.«
    »Schönen Dank«, sagte er.
    »Wie war doch Ihr Name?« fragte sie. Sie stellte die Frage so leichthin, so beiläufig, daß man die Falle nicht spürte. Einen Augenblick lang schien es, als wäre er nur ein Fremder, der an der Tür geklopft, den sie hereingebeten hatte und dessen Namen sie nun erfahren wollte. Es war, als hätte das Telefongespräch nie stattgefunden.
    »Ich weiß meinen Namen nicht«, sagte er.
    »Warum haben Sie dann gesagt, Sie wären Sam?«
    »Sie haben gesagt, ich wäre Sam.«
    »Das habe ich nie gesagt.«
    »Richtig; ich meine – Sie haben geglaubt, ich wäre Sam. Am Telefon.«
    »Wer hat Ihnen meine Nummer gegeben?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber sie steht in Ihrem Buch, nicht wahr?«
    »Ja, es scheint so.«
    »Was heißt scheint? Sie steht darin, zweimal.«
    »Ja.«
    »Und wer hat sie Ihnen gegeben?«
    »Ich sagte es Ihnen doch schon – ich weiß es nicht.«
    »Wo stammen Sie her?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wo wohnen Sie?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Und Ihre Sozialversicherungsnummer?«
    »119 …« Er hielt inne.
    »Ja, ja, weiter.«
    »Ich weiß den Rest nicht mehr.«
    »Verheiratet?«
    »Ich glaube nicht. Ich weiß es nicht genau.«
    »Haben Sie etwa Angst vor mir?« fragte Gloria plötzlich.
    »Nein. Warum sollte ich Angst vor Ihnen haben?«
    »Ich meine, was soll diese Vernebelungstaktik? Was hat Sam Ihnen gesagt?«
    »Wie bitte?« fragte

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