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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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mit Coplands El Salon Mexico auf der einen und Bernsteins Fancy Free auf der anderen Seite entsann; eine merkwürdige Gedankenkombination für einen A-und-R-Mann, aber es war nun einmal so. Später fiel ihm ein, daß die Platte ein rotes Etikett hatte, und er wußte sofort, daß es sich um eine Columbia-Aufnahme handelte; dann fragte er sich, wie in aller Welt er wissen konnte, was ein A-und-R-Mann war, und weiter, ob er nicht auf irgendeine Art mit der Schallplattenindustrie zu tun hätte. Er hielt es nicht für wahrscheinlich; doch er hatte immerhin eine Symphonie vor sich hingepfiffen, verschiedene Komponisten schienen ihm nicht unbekannt, außerdem wußte er, was ein A-und-R-Mann war – aber das wußten andere Leute möglicherweise auch. Er sah, daß ihm ein Mann entgegenkam, ein alter Mann mit grauem Bart, der, die Hände in den Taschen, beim Gehen vor sich auf den Gehsteig starrte; er ging auf ihn zu und sagte: »Entschuldigung, Sir.«
    Der Mann schaute argwöhnisch zu ihm auf.
    »Wissen Sie, was ein A-und-R-Mann ist?« fragte er.
    »Was?« sagte der Mann.
    »Wissen Sie, was ein A-und-R-Mann ist?«
    »Nun, ja, Moment«, sagte der Mann. »A und R, ja?«
    »Ja, Sir.«
    »Antennen und Radio?« fragte der Mann.
    »Nein.«
    »Sekunde, ich hab's gleich.« Der Mann runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. »Aeronautik und – eh – Raketen? Raketenwesen? Ist das richtig?«
    »Nein.«
    »Ich komme gleich drauf, Augenblick«, sagte der Mann. »Warum fragen Sie überhaupt?«
    »Wieso?«
    »Ist dies eine Fernsehschau oder dergleichen?« fragte der Mann.
    »Nein, ich wollte es nur wissen«, sagte Buddwing.
    »Aha. Nun, Augenblick mal. A und R, ja? Moment. Automation und – Moment – und Regeltechnik? Das ist doch wohl richtig?«
    »Nein«, sagte Buddwing.
    »Ach.« Der Mann schaute ihn enttäuscht an. »Ja dann – tut mir leid, dann kann ich Ihnen nicht helfen.«
    »Macht nichts, besten Dank«, sagte Buddwing.
    »Keine Ursache«, antwortete der Mann und wanderte weiter den Broadway hinauf, mit gesenktem Kopf, die Hände in den Taschen.
    Buddwing schaute dem Mann noch einen Moment lang nach und dachte dann: schön, er weiß zwar nicht, was ein A-und-R-Mann ist, aber vielleicht habe ich doch Verbindung zur Schallplattenindustrie; angesichts der geübten Art, mit der ich den alten Herrn behandelt habe, wäre es freilich auch möglich, daß mein Beruf mit Meinungsforschung zu tun hat. Und plötzlich kehrte die frohe Stimmung zurück, übermächtig, fast bis zur Ausgelassenheit. Was konnte er nicht alles sein – die Zahl offener Möglichkeiten war überwältigend: Arzt, Anwalt, Indianerhäuptling; Schlachter, Bäcker, Kerzenziehen; Fürst, Habenichts, Zuhälter, Künstler, Schriftsteller, Schauspieler, Agent; Lastwagenfahrer, Kanalreiniger, Erdarbeiter, Hemdenschneider; Geflügelrupfer, Flieger, Perlentaucher, Bandleader; Baßgeiger, Baseballspieler, Hummerkonservenvertreter, Taschendieb – einfach alles und jedes; und diese zahllosen Möglichkeiten, fern davon, ihn zu irritieren und mutlos zu machen, vermittelten ihm ein Gefühl ungemessener Macht. Gott, welche Auswahl, dachte er. Ich kann sein, was ich sein will. Ich kann auf der Stelle als Meinungsforscher anfangen, Sam Buddwing Research Inc. und hier auf dem Broadway alle Passanten fragen, ob sie wissen, was ein A-und-R-Mann ist. Ich kann mich an die nächste Ecke stellen, eine Klasse unterrichten oder eine Predigt halten. Ich kann mir einen Meißel kaufen und dann sehen, ob ich Bildhauer oder Einbrecher werden will. Ich kann ein Stück Papier von der Straße auflesen und ein Drama oder ein Pamphlet darauf schreiben. Ich bin frei, zu lieben oder zu hassen, zu schaffen oder zu zerstören, ich kann Künstler sein oder Kritiker. Ich kann sein, was ich sein will und wer ich sein will. Ich bin ein unbeschriebenes Blatt, rein, wie neugeboren – mein Gott, bin ich hungrig. Er beschleunigte seine Schritte und suchte heißhungrig nach einer Cafeteria, unschlüssig, ob er nicht umkehren und in jenes Lokal gehen sollte, das er bereits hinter sich gelassen hatte. Dennoch ging er noch zwei weitere Straßenblocks südwärts, beschloß dann, zur Amsterdam Avenue hinüberzuwechseln, ließ es jedoch, blieb auf dem Broadway und fand schließlich eine Cafeteria, die er eilig betrat. Er zog einen Bon aus dem Automaten, nahm ein Tablett von dem Stapel und ging dann an der langen Reihe ausgestellter Gerichte entlang, jedes einzelne mit ungewohntem Vergnügen musternd. Er

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