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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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aussah und daß damals alle Mädchen völlig formlose Pullover trugen. Sie wirkte gänzlich verschlampt, aber sie war natürlich nicht schmutzig. In Wirklichkeit hielt sie sich sehr sauber. Das hat sie mir später erzählt, damals, ja, das war später, als sie darauf anspielte, daß ich zur See fuhr. Siehst du, ich entsinne mich, ich habe nichts vergessen. Mein Erinnerungsvermögen ist nahezu intakt. Ich sehe noch alles vor mir, sogar die Knöpfe auf dem fahlvioletten Mantel, ziemlich große, stoffbezogene Knöpfe, auf dem Bezug wiederholte sich die dunkelste Farbe des Musters, ein schmales Viereck tieferen Violetts. Wir fuhren damals nach Coney Island; es war gegen Ende der Saison. Deshalb trug sie auch am Vormittag den karierten Mantel, später am Tage zog sie ihn aus und trug ihn erst am Abend wieder, während der langen Rückfahrt in den fremden Untergrundbahnen von Brooklyn, bis wir schließlich in die White Plains Road-Linie umstiegen; und dann schlief sie. Daß ich sie begleitete, war Zufall – sie war nicht meine Freundin, wir waren nicht einmal miteinander verabredet. Das Ganze war recht verworren, siehst du, schließlich waren wir noch Kinder. Ich war erst fünfzehn, ein Jahr älter als Doris, und Verabredungen gehörten noch nicht recht zu unserem Leben. Aber an dieser Sache war eine ganze Clique beteiligt, vor allem meine Cousine Mandy.
    Mandy, in der Tat. Natürlich, Mandy.
    Merkwürdig, daß Mandy mir einfällt, obwohl ich sie seit – das muß ungefähr – ja, seit fünfzehn, zwanzig Jahren nicht gesehen habe. Doch sie steht ganz deutlich vor mir, ihr scharfgeschnittenes Gesicht, ihr stämmiger Körper, ihre dicken Beine. Unvermeidlich, daß Mandy es war, die ohnehin immer in diesem törichten Mannschaftspullover herumlief und alle gängelte, als gäbe sie in einem Fußballstadion das Zeichen zum Einsatz.
    Ich habe Fußball gespielt.
    Nein.
    Aber ich erinnere mich an ein Stadion.
    Ich muß gespielt haben.
    Jedenfalls hatte Mandy den Ausflug nach Coney Island organisiert, und ich verbrachte fast den ganzen Tag damit, Doris zu beobachten; damit fing es an. Ich hatte nicht den Eindruck, daß sie sich sehr für mich interessierte. Ich spendierte ihr zwei heiße Würstchen, aber sie hielt sich an der Seite dieses mageren, langhaarigen Burschen mit dem Mittelscheitel; ich hasste dieses Kriechtier. Er war älter. Er war sechzehn; möglicherweise hatte meine Cousine Mandy ein Auge auf ihn geworfen. Doris tat das gleiche, und so gab ich dreißig Cents für Würstchen aus und hatte nichts davon. Auf dem Heimweg schlief sie ein. Ich fragte, ob ich sie nach Hause bringen sollte, aber sie war schon mit diesem mageren, schmächtigen Kriecher verabredet.
    Ich muß Fußball gespielt haben.
    Jedenfalls erinnere ich mich an einen karierten Mantel und ein Stadion.
    Wenn es nicht Doris war, die den karierten Mantel trug, wer war es dann?
    Siehst du, es geht schon recht gut, wirklich, ich glaube, ich schaffe es. Ich entsinne mich aller dieser Dinge recht deutlich. Sicher, hier und da fehlen Kleinigkeiten – ich weiß zum Beispiel nicht, wie sie mich nannte. Gerade das scheint das Schwierigste: sich zu erinnern, wer ich damals war; wer dieser Junge war, der sich in Doris verliebte, und – ich entsinne mich auch des Hauses nicht mehr, in dem ich wohnte, oder wie meine Mutter und mein Vater aussahen. An sie dagegen kann ich mich erinnern, ich entsinne mich all der verworrenen Augenblicke dieser ersten langen Liebe, an die Fahrräder damals auf dem Wege – ja, und an das erstemal.
    Ich glaube, wir erforschten einander. Wir erforschten gegenseitig Geheimnisse, die Geheimnisse der Berührung. Ich habe nie ihr Bild gezeichnet, wie Beethoven es mit seinem Mädchen tat. Das war nie meine Ausrede. Aber wir verbrachten ganze Tage gemeinsam im Wald, lange Tage, an denen wir morgens um neun die Fahrräder nahmen, die Picknickbeutel umgehängt; wir verbrachten den Vormittag und den größten Teil des Nachmittags im Wald in der Nähe von Tibbett's Brook. Und wir forschten, wir entdeckten, wir berührten, wir fühlten. Sie war meine Freundin, siehst du, aber zugleich mehr als das: sie war alles Weibliche. Das Beben ihres Körpers war ein Wunder, das mich manchmal erstarren ließ. Ich weiß nicht, wie ich zum ersten Mal ihre Brust berührte, die Brust eines Mädchens, irgendeines Mädchens; ich weiß es noch ganz deutlich, ein reiner, stiller Schock. Ich weiß noch, wie sie zum ersten Mal die Bluse öffnete und sich mir zeigte.

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