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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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betupfte sie. Er sah den Seemann jetzt zum ersten Mal deutlich vor sich und musterte ihn. Er war ein Junge von ungefähr zwanzig Jahren mit kantigem Gesicht, eine Woge von Sommersprossen quer über der Nase; er hatte blaue Augen und sprach mit ausgeprägtem Südstaatenakzent. Seine Brust war muskulös und breit, seine Beine waren kurz. Er trug die Mütze auf dem Hinterkopf, sein Haar war glatt und blond. Das Rangabzeichen auf dem Ärmel verriet Buddwing, daß er Signalgast war.
    »Ich kann es nun einmal nicht ausstehen, wenn unfair gekämpft wird«, sagte der Seemann. »Was wollten die eigentlich von Ihnen?«
    »Mein Geld vermutlich«, sagte Buddwing. Er nahm das Taschentuch von der Nase und musterte es. Es schien, als hätte die Blutung aufgehört.
    »Mann, in dieser Stadt kann man nicht mal sein Wasser abschlagen, ohne daß einem jemand ins Kreuz springt. Sie hatten Glück, daß ich im richtigen Augenblick dazukam.«
    »Ich weiß«, sagte Buddwing. »Besten Dank.« Er betupfte seine Nase noch einmal und reichte dann dem Seemann das Taschentuch.
    »Können Sie ruhig behalten«, sagte der Seemann. »Stammt sowieso von irgendeiner Wäscheleine. Ihre Hose ist offen.«
    »Wie?«
    »Ich sagte, Ihre Hose ist offen«, wiederholte der Seemann und setzte unvermittelt hinzu: »Ich heiße Jesse Salem. Wie heißen Sie?«
    Buddwing schloß seinen Reißverschluss und packte dann Jesses ausgestreckte Hand. Er hatte einen festen Griff und große Hände mit ausgeprägten Knöcheln – die Hände eines erfahrenen Straßenkämpfers.
    »Ich bin Sam Buddwing.«
    »Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte Jesse. »Haben Sie eine Ahnung, wo hier ein Lokus ist, den keine Boxkünstler bevölkern? Bei mir wird es langsam dringend.«
    »Bei mir auch«, sagte Buddwing lächelnd. »Hier entlang.«
    Sie bogen nach links in die Sixth Avenue ein und gingen weiter.
    »Von welchem Schiff sind Sie?« fragte Buddwing.
    »Von der Meredith«, sagte Jesse. »Ein Zerstörer.«
    »Ich weiß.«
    »Woher?«
    »Wenn es einen Männernamen hat, muß es ein Zerstörer sein.«
    »Waren Sie auch bei der Marine?«
    »Ja«, sagte Buddwing sofort; es schien keinen Zweifel zu geben.
    »Und auf was für einem Schiff?«
    »Genau wie Sie, auf einem Zerstörer. Auf der Fancher.«
    »Der sind wir, glaube ich, einmal in Japan begegnet«, sagte Jesse.
    »Genau da bin ich von Bord gegangen«, erwiderte Buddwing grinsend.
    »Tatsache? In Japan? Wann war das?«
    »Nach dem Krieg.« Er hielt inne. »Dem zweiten Weltkrieg. Bin in Sasebo von Bord gegangen und kam mit einem Transporter zurück. Zur Entlassung.«
    »Und wo wurden sie ausgeschifft? San Diego?«
    »Nein, Treasure Island, vor San Francisco.«
    »Ah, ja. Nette Stadt, San Francisco. Aber wo ist Ihr Lokus, Mann? Ich schaffs bald nicht mehr.«
    Er führte Jesse in die Herrentoilette des Automatenrestaurants zwischen der Fünfundvierzigsten und Sechsundvierzigsten Straße. Als sie die Treppe wieder heraufkamen, fragte er: »Haben Sie schon gegessen?«
    »Nein. Halte aber nicht viel von Automaten; hab' nicht die Geduld dazu.«
    »Ein Stück weiter ist ein Würstchenstand«, sagte Buddwing. »Und lassen Sie mich zahlen.«
    »Brauchen Sie nicht«, sagte Jesse.
    »Möchte ich aber.«
    »Also gut, okay. Aber Sie wissen, daß Sie nicht dazu verpflichtet sind.«
    »Ich weiß«, sagte Buddwing.
    »Gut, dann …«
    Sie gingen weiter. Der Tag war still, mild und klar. Buddwing ging mit langen, schnellen Schritten, und Jesse hatte Mühe, sich mit seinen kürzeren Beinen an seiner Seite zu halten.
    »Wie war's in Japan?« fragte Buddwing.
    »Großartig«, sagte Jesse.
    »In welchen Städten sind Sie gewesen?«
    »Gott, in Sasebo wie Sie. Und in Nagasaki, Yokohama und Tokio.«
    »Sind Sie auch einmal nach Norden gekommen?«
    »Ist Tokio nicht schon Norden?«
    »Ich meinte, weiter nach Russland hin. Gegend von Hakodate.«
    »Nein. Wo ist das? Auf Hokkaido?«
    »Ja.«
    »Nein, da sind wir nie gewesen. Aber es war trotzdem verdammt gut in Japan.«
    »Klar, das war es«, sagte Buddwing.
    Sie fanden den Würstchenstand zwischen Sixth Avenue und Vierundvierzigster Straße und blieben am Gehsteigschalter stehen; jeder verzehrte ein Würstchen mit Sauerkraut und Senf und eine Tasse Kaffee. Die Rechnung kam auf siebzig Cents.
    Buddwing zog seine letzte Dollarnote aus der Tasche, legte sie auf den Zahlteller, der Kassierer ließ die Kasse läuten und gab ihm einen Vierteldollar und ein Fünfcentstück zurück. Buddwing betrachtete die beiden

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