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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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auch an den teureren Kranz käme?« fragte Buddwing.
    »Genau die gleiche Schleife«, sagte die Frau. »Wissen Sie, es ist wirklich ein sehr hübscher Kranz.«
    »Es ist, nun – fünfzig Dollar, das klingt so … so billig«, sagte Buddwing.
    »Finden Sie?« sagte die Frau mit gekränkter Miene. »Fünfzig Dollar ist doch ein hübscher Preis für einen Kranz. Nein, das ist gewiß nicht billig.«
    »Sehen Sie, er hat alle meine Sachen gemacht«, sagte er; die Frau starrte ihn verständnislos an. »Mein Großvater«, setzte er hinzu.
    »Komm, wir müssen uns entscheiden«, drängte Mandy.
    »Mit der Schleife wird er sehr hübsch aussehen«, sagte die Frau.
    »Nehmen Sie die rote Schleife?« fragte Buddwing.
    »Wenn Sie es wünschen.«
    »Ich finde, das Rot sieht gut aus, meinst du nicht auch, Mandy?«
    »Ja, ich glaube, das Rot sieht sehr hübsch aus.«
    »Und Sie liefern ihn in die Begräbniskapelle?« fragte Buddwing.
    »Sicher, das tun wir«, antwortete die Frau.
    »Weißt du, fünfzig Dollar, das klingt …«
    »Wir nehmen den zu fünfzig«, sagte Mandy. »Mit der roten Schleife und dem Spruch ›In liebender Erinnerung‹.« Sie hielt inne und sah Buddwing an. »Okay?« fragte sie.
    »Gut, okay«, sagte Buddwing.
    »Ich finde ihn gut genug«, sagte Mandy.
    Sie sagten der Frau in der grünen Schürze, daß sie in ein paar Minuten mit dem Geld zurückkämen; sie möchte in der Zwischenzeit die rote Schleife an dem Kranz zu fünfzig befestigen. Dann verließen sie den Blumenladen und gingen zum Bestattungsinstitut zurück. Seine Mutter wollte ihm die fünfundzwanzig Dollar schenken, doch Buddwing bestand darauf, sie von ihr zu leihen, und sagte, er würde im Sommer einen Job annehmen und ihr das Geld zurückzahlen. Als der Kranz am Nachmittag ankam, schnalzten alle Verwandten mit der Zunge, wiegten anerkennend die Köpfe und sagten: »Sieh da, die Kinder haben ihm Blumen gekauft.« Buddwing fühlte sich seltsam schuldbewusst.
    Noch lange, nachdem sie seinen Großvater in der harten Wintererde begraben hatten, der Frühling gekommen war und der Sommer nahte, mußte er an diesen Tag denken. In müßigen Augenblicken rekonstruierte er den Dialog im Blumenladen, und am deutlichsten widerhallten in seiner Erinnerung die Worte, die Mandy, kurz bevor sie gingen, geäußert hatte: »Ich finde ihn gut genug.«
    Gut genug wofür? fragte er sich. Gut genug für den alten Mann, der einfach starb, obwohl ich ihn so liebte? Gut genug für den alten Mann, der mich in seiner Werkstatt jeden Nachmittag begrüßte: »Komm herein, du siehst wieder halb erfroren aus. Annie, mach ihm eine Tasse heiße Schokolade.« Gut genug wofür, Mandy? Gott, warum hatte er nicht besessener argumentiert, warum hatte er sie nicht davon überzeugt, daß fünfzig Dollar nicht genügten, daß in dem Mehrpreis von fünfundzwanzig Dollar eine Möglichkeit lag, zu sagen: »Großvater, ich habe dich wirklich geliebt, nicht für fünfzig Dollar, nicht einmal für fünfundsiebzig, sondern überhaupt, Großvater, ich habe dich mehr geliebt als alles andere.« Weshalb hatte er sie davon nicht überzeugen können?
    Der Job, den er in diesem Sommer annahm, erinnerte ihn ständig an seinen Großvater.
    Nein, dachte er.
    Nein, es hat keinen Sinn, noch einmal damit anzufangen; es hat wirklich keinen Sinn. Ich habe den Job angenommen und ihr ihre lausigen fünfundzwanzig Dollar zurückgezahlt!
    Er versuchte, an überhaupt nichts zu denken, wie Jesse es ihm im Krieg an Bord der Fancher beigebracht hatte, eine Vorstufe der Selbsthypnose. Bevor man lernte, andere zu hypnotisieren, hatte Jesse gesagt, mußte man lernen, sich selbst zu hypnotisieren. Er dachte an Schnee, an Weißes, an Leere, leeren Raum, an nichts, und dann fragte er sich, wo Grace so lange blieb, und dann verdrängte er Grace aus seinen Gedanken; an überhaupt nichts zu denken, war der springende Punkt: jeden Gedanken von sich zu weisen, selbst unwichtige Gedanken, in blickloser Leere dazusitzen, nur an Frieden zu denken, nur an Leere, an nichts, an überhaupt nichts.
    In das weiße, leere Nichts seiner Gelassenheit, in den reinen, leeren Raum, von leichter, durchsichtiger Luft umgeben, in diese sorgfältig kontrollierte Gedankenlosigkeit schlich sich plötzlich das Bild eines Jungen, der einen Handkarren schob, doch er löschte das Bild sofort, drängte es von sich; wieder nur leerer Raum, Leere, in die nichts eindringen konnte, das Mietshaus am Wasser, rote Ziegelmauern, der Aufzug mit dem farbigen

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