Schock
nicht mein richtiger Name«, sagte er zornig.
»Und was ist Ihr richtiger Name?«
»Du lieber Himmel, wissen Sie es etwa?« schrie er.
»Nein, ich weiß es nicht.«
»Müssen wir unbedingt Streit anfangen?«
»Schreien Sie mich nicht an«, sagte sie.
»Weshalb zum Teufel müssen wir …«
»Ich sagte: schreien Sie nicht! Ich versuche doch nur, Ihnen zu helfen.«
»Ich brauche Ihre gottverdammte Hilfe nicht.«
»Ich bin nicht sicher, ob Sie wissen, was Sie brauchen«, sagte sie.
»Sie brauche ich auf keinen Fall.«
»Ich wollte, Sie hörten auf zu schreien. Die Leute schauen schon herüber.«
»Die Leute soll der Teufel holen«, sagte er triumphierend: wenn sie bereit war, Leute als Leute zu respektieren, würde sie vielleicht auch wieder anfangen, in ihm den Menschen zu sehen. »Müssen wir denn unbedingt Streit anfangen, Grace?« fragte er sanft.
»Anfangen?«
»Ja, anfangen. Müssen wir uns streiten?«
Ihr Gesicht war nun sehr ernst, ihre Stimme sehr leise, und sie sagte: »Ich fange überhaupt nichts an. Nicht mit Ihnen, Mister. Sie haben mir zuviel Probleme am Hals.«
»Das haben Sie auch«, erwiderte er; sie starrte ihn in plötzlichem Erstaunen an, und er wußte, er hatte den Schutzschild der Sozialfürsorgerin plötzlich und magisch durchstoßen, die weiche, pulsierende, verwundbare Haut darunter erreicht. Sie starrte ihn an. In ihren Augen, in ihrem Gesicht geschah etwas; etwas Schreckliches geschah, er sah es und wünschte sich einen Moment lang, es noch verhindern zu können; er wußte: wenn es einmal geschah, waren sie für immer aneinander gebunden.
»Meine Probleme gehen nur mich an«, sagte sie weich.
»Ja, und meine nur mich.«
»Okay, dann sollten wir sie voneinander getrennt halten«, sagte sie.
»Okay, tun wir das«, erwiderte er, wandte sich abrupt ab und ging fort. Ihm war, als sei er einer Gefahr entronnen; Erleichterung stieg wie eine enorme Woge in ihm auf.
»Hallo!« rief sie hinter ihm her.
Er blieb stehen, machte kehrt, stand ihr gegenüber.
»Was werden Sie jetzt tun?«
»Ist das nicht völlig gleichgültig?«
»Gut – aber Sie können doch nicht einfach in der Stadt herumwandern.«
»Warum nicht?«
»Weil Sie Hilfe nötig haben.«
»Jeder einzelne auf dieser verdammten Erdoberfläche hat Hilfe nötig«, sagte er wütend.
»Soll ich Sie nicht lieber in ein Krankenhaus bringen?« fragte sie sanft.
»Den Weg zum nächsten Krankenhaus finde ich selber, danke.«
»Und Sie gehen hin?«
»Nein.«
»Das sollten Sie aber tun.«
»Warum? Wird man mir dort sagen können, wer ich bin? Ich bin einer von acht Millionen – wie zum Teufel soll man mir dort sagen können, wer ich bin?«
»Hören Sie, ich …« Sie senkte den Blick. »Ich habe nicht gewollt, daß Sie zornig werden.«
»Ich bin nicht zornig.«
»Es tut mir leid.«
»Das ist nicht nötig.«
»Ich glaube – ich glaube, ich habe gewollt, daß Sie hinter mir hergingen.«
»Das glaube ich auch.«
»Und ich habe mit Ihnen geflirtet«, sagte sie.
»Das weiß ich.«
»Aber ich kann mich nun einmal nicht mit Ihnen einlassen; so stehen die Dinge.«
»Natürlich. Wer könnte sich schon mit anderen Leuten einlassen? Und warum zum Teufel sollte es bei Ihnen anders sein?«
»Ich habe nicht immer Angst davor, mich mit anderen Leuten einzulassen«, sagte sie.
»Und wovor haben Sie jetzt Angst?«
»Sehen Sie …«, sagte sie. Sie schüttelte den Kopf. »Sehen Sie, ich schulde Ihnen nichts. Sie haben kein Recht, so mit mir zu reden.«
»Ich rede mit Ihnen, wie es mir paßt.«
»Nein, das werden Sie nicht tun«, erwiderte sie mit auffunkelnden Augen. »Und vergessen Sie das nie!« Sie schien nicht zu begreifen, daß sie in diesem Moment einer flüchtigen Gemeinsamkeit Dauer und Bestand verliehen hatte. Er starrte sie stumm an und sagte nichts.
»Ja«, sagte sie. »Warum – warum gehen Sie nicht?«
»In Ordnung«, sagte er und blieb unbeweglich stehen.
»Ich kann mich wirklich nicht um jeden herrenlosen Hund kümmern, der mir über den Weg läuft.«
»In Ordnung«, sagte er.
»Ich habe selbst genug Sorgen.«
»In Ordnung.«
»Ich will Sie nicht näher kennenlernen«, sagte sie. »Gerade das möchte ich vermeiden, diese – diese verdammte Intimität. Also – verschwinden Sie bitte. Ich denke nicht daran, mich mit Ihnen einzulassen, Mister.«
»Okay«, sagte er und wandte sich abermals ab.
»Augenblick«, sagte sie.
»Was wollen Sie noch.«
»Haben Sie Geld bei sich?«
»Sie wissen, daß
Weitere Kostenlose Bücher