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Schockgefroren

Schockgefroren

Titel: Schockgefroren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Buzmann
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den Schultern. Ist auch kein Wunder, schließlich haben die großen Hotels ihre Saisonplanung längst abgeschlossen. Da muss schon jemand abspringen, was zwar immer wieder vorkommt, doch im Moment sieht es nicht danach aus. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren!
    Ich ärgere mich, dass ich mit der ganzen Sache anfing, wo ich noch nie gute Erfahrungen in Sachen »Aufarbeitung« gemacht habe. Damals, mit 22 Jahren, als mein Leben nicht nur aus den Gleisen gesprungen, sondern schon völlig entgleist ist, beschließe ich, einen so großen Schritt zu wagen wie niemals zuvor: Ich lasse mich in eine Anstalt einweisen. Die Zeit dort ist wie eine Wolke in meinem Kopf, die sich über den ganzen Horizont erstreckt, ohne Anfang und Ende. Ich erinnere mich an die alkoholkranken Menschen dort, an Polytox-Drogenabhängige, die von sich sagten, dass sie alles nehmen, was den Schmerz abschaltet. Da sind Vergewaltigungsopfer, da ist eine Psychologin. Weil ich freiwillig hier bin, soll ich ihr erzählen, was mich zu diesem Schritt motiviert hat. Ich sage, ich wurde als Kind entführt. Ich bin ein Entführungsopfer. Sie stellt eine Frage, und plötzlich kriege ich keinen Ton mehr raus. Sie stellt noch eine Frage, und aus meinen Augen strömen Tränen. Sie macht den Mund ein weiteres Mal auf, und ein Monsun aus Tränen überwältigt mich. Ich kann nicht. Ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann keinen Schritt weiter. Sie gibt mir etwas zu trinken. Auf einmal wird alles warm in mir, und tatsächlich geht es mir kurze Zeit später besser. Der Monsun versiegt, jetzt kommt die Trockenzeit. Mit den Tränen verflüchtigt sich meine Bereitschaft zu reden. Zwar treffe ich die Psychologin noch ein paar Mal, aber wir kommen nicht voran. Stattdessen schlucke ich Psychopharmaka. Die machen mich ruhig, helfen mir einzuschlafen, was auch schon einiges wert ist in einer Zeit meines Lebens, in der ich kaum mehr ein Auge zumache. Aber ich bin nicht bereit, über meine Vergangenheit zu reden, auch wenn die Psychologin der Meinung ist, dieser Wunsch hat mich hergeführt. Sicher hat sie recht, aber mir ist etwas eingefallen, was meinen Mund verschließt, als sei ein Riegel davor mit sieben Schlössern, und die Schlüssel dafür gingen verloren. Mir fiel ein, dass ich schon einmal in einer Behandlung war. Gleich nach der Entführung ging es damit los: Ich muss zuhause bleiben, darf nicht in die Schule gehen. Das ganze vierte Schuljahr geht mir flöten, und in dieser Zeit muss ich in Behandlung. Vielleicht, weil ich wochenlang nicht mehr vor die Tür treten will. Vielleicht, weil ich nicht in meinem eigenen Bett liegen möchte, sondern bei meinen Eltern, diese aber nicht schlafen lasse. »Ihr dürft nicht schlafen, ihr dürft nicht schlafen«, sage ich immer wieder.
    Die Behandlung findet in Wiesbaden statt, und mein Papa fährt mich hin. Es sieht aus wie in einer Arztpraxis, nur dass der Arzt kein Arzt ist, sondern ein Psychiater. Ich weiß nicht, was ein Psychiater ist, und ich weiß auch nicht, ob er sich mit Kindern auskennt. Ich weiß nur, dass er kalt ist. Er sagt zu mir, er will herausfinden, wie ich mich »situationsgemäß« verhalte. Ich weiß nicht, was er damit meint. Ich habe Angst vor ihm und will nicht mehr hin. Aber es muss sein. Der Psychiater legt Bilder vor mich hin. Er will wissen, was ich darauf sehe. Ich sehe nichts, nur Kleckse. »Das sind keine Bilder«, sage ich, »das sind Kleckse.« »Aber man kann etwas darin erkennen«, meint der Psychiater, und er will wissen, was es ist. Es kommt mir ein bisschen vor wie in der Schule, wenn ich eine Antwort nicht weiß. Und es kommt mir noch mehr vor wie bei Adam G., wenn er seine Fragen stellte. Fragen, auf die ich antworten muss, selbst wenn ich die Antwort nicht kenne. Trotzdem sehe ich auf den Bildern lediglich Kleckse. Also sage ich nochmals, da sind nur Kleckse. Jetzt wird der Psychiater ärgerlich. Er ruft meinen Papa zu sich und meint, ich sei unkooperativ. Auch ein Wort, das mir nichts bedeutet, aber mein Gefühl sagt mir, es heißt nichts Gutes. Auf der Heimfahrt ist Papa nett zu mir. Er meint, ich solle wenigstens versuchen, die Fragen des Psychiaters zu beantworten. Das würde mir sicher guttun. Also nehme ich es mir ganz fest vor. Das nächste Mal werde ich alle Fragen beantworten, ganz gewiss. Auch wenn ich dort eigentlich nicht mehr hinwill. Doch wenigstens gibt es ein Mädchen, das lieb zu mir ist. Sie ist die Assistentin des Psychiaters, sie ist nicht kalt. Sie spielt mit mir, wenn er

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