Schockstarre
Katinka. Meistens strafte der Rotgetigerte Katinka mit Missachtung. Heute jedoch schnurrte er gnädig und rollte sich neben ihr zusammen. Sie dösten beide eine Weile.
Gegen 6 Uhr abends suchte Katinka das Foto von Henryk Pawlowicz heraus, schlüpfte in ihren Mantel und machte sich auf den Weg zum Rio-Club . Draußen roch es nach Schnee.
5. Entzweiung
Sonntag, 9. 1. 2005, 18:05 Uhr
Im Rio-Club herrschte tiefe Stille. Katinka bestellte sich einen Kaffee und wartete eine Weile ab. Der Barmann fuhrwerkte geschäftig hinter seiner Theke herum.
»Wer hat eigentlich gestern hier gearbeitet?«, fragte Katinka.
Er sah mürrisch auf.
»Warum wollen Sie das denn wissen!«
Er zierte sich, rückte aber dann doch mit der Sprache heraus.
»Tonio«, sagte er und wienerte ein Glas blank.
»Tonio wie noch?«
Er stellte das Glas weg und wandte sich Katinka zu. Er war groß, bestimmt über eins neunzig.
»Was wollen Sie von ihm?«
Katinka zog das Foto aus der Manteltasche und reichte es dem Barmann.
»Kennen Sie den?«
»Naja, da ist ja nicht viel zu kennen«, brummte er. »Hut, Brille …«
»Kommt der öfter her?«
»Was weiß ich. Ich arbeite erst seit drei Wochen hier. Jedenfalls … nein, der kommt mir nicht bekannt vor.«
»Bamberg ist klein«, sagte Katinka und harpunierte den Barkeeper mit ihrem Blick. »Egal, in welcher Kneipe man arbeitet, man kennt die Szene. Henryk Pawlowicz, sagt Ihnen der Name was?«
»Sind Sie von der Polizei?«
»So ähnlich.«
»Tonio Albert, Judenstraße. Es ist das Haus gleich neben dem Bolero . Aber den Knilch auf Ihrem Foto, den kenne ich nicht. Wirklich.«
Als sie ging, hörte sie ihn erleichtert Luft ablassen.
Ihr Fahrrad parkte noch an der Ecke zum Katzenberg. Sie schwang sich auf den Sattel und fuhr geradewegs in die Judenstraße. Die eiskalte Luft machte ihr Gesicht taub.
Sie fand das Haus sofort. Nach einigen energischen Klingelsalven knackte die Sprechanlage.
»Ja, wer ist da!«
»Palfy, private Ermittlungen. Es geht um die Entführung gestern Abend.«
Sie beobachtete ihre weißen, in der Dunkelheit zerstiebenden Atemwolken. Zunächst blieb alles still, dann ging der Summer. Katinka querte eine heruntergekommene Eingangshalle und stiefelte die Treppe hinauf.
Sie erkannte den Mann sofort wieder. Bei ihm hatte sie gestern das Spezi geordert. Für mehr reichte die Erinnerung nicht. Eine geknebelte Erinnerung, der sie selbst nicht traute.
»Guten Abend. Ich störe nicht lange. Sie kennen mich noch?«
Er starrte sie einen Augenblick lang an, dann lachte er. Katinka war sich nicht sicher, ob hämisch und verächtlich oder einfach nervös.
»Soll das ein Rätselspiel werden?«
Sofort war sie sicher, dass er sie wiedererkannte.
»Gestern Abend«, sagte sie. »Wie lief das nochmal?«
Sie fingerte ihre Lizenz aus dem Mantel und hielt sie ihm hin. Genau in dem Moment ging das Licht aus. Schnell tastete er nach dem Schalter.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»War schon ein Kollege da?«
Tonio Albert starrte sie verwundert an.
»Kollege?«
Unten knackte das Haustürschloss.
»Gehen wir besser rein«, sagte Katinka und schob sich einfach an ihm vorbei in die Wohnung. Es roch nach Zigarette, nach etwas Süßlichem und nach Schlaf. Sie blieben auf dem Flur stehen.
»Hören Sie mal«, begann Tonio Albert, aber Katinka stoppte ihn.
»Ich kriege Sie dran wegen Verschleierung einer Straftat«, sagte sie scharf. Er sah drein, als schluckte er den Brocken ohne Gegenwehr. »Wie ging das gestern zu?«
Sie hielt ihm Henryks Foto unter die Nase.
»Ja, der Kerl war gestern im Rio-Club .«
Also weichst du allmählich auf, du Saukerl, dachte Katinka.
»Wer ist das?«
»Keine Ahnung.«
»Wer waren die Pärchen, die das Geld für den Flipper wechselten? Zwischen halb elf und elf?«
»Susanna? Also …«
»Susanna wie noch?«
»Heinze. Susanna Heinze. Sie ist Musikerin und tritt manchmal bei uns auf. Hat auch eine Band. Zur Zeit ist sie lose mit einem Typ zusammen, den ich nicht kenne. Ehrlich. Und die anderen beiden kannte ich auch nicht. Nie gesehen.«
»Henryk Pawlowicz?«
»Wie bitte?«
»Henryk Pawlowicz? Sagt Ihnen der Name was?«
Er schüttelte den Kopf, mittlerweile trug er eine treudoofe Miene zur Schau. Katinka kannte Typen wie ihn genau. Sie taten, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Wenn sie redeten, probierten sie eine Umleitung nach der anderen, doch irgendwann mussten sie überrumpelt erkennen, dass sie in der Sackgasse steckten und
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