Schön scheußlich
Enzymkonzentrationen beim Menschen nicht abnehmen, ist bislang ungeklärt.
Andere Säugetiere haben uns womöglich auch etwas zur Biochemie der Willenskraft zu sagen. Ab einem gewissen Zeitpunkt im Herbst beschließen beispielsweise Bären, in Vorbereitung auf den großen Schlaf unglaublich an Gewicht zuzulegen, und vertilgen ungeheure Fischmengen. Im Frühling und Sommer hingegen beschließt der Bär, schlank zu bleiben, und frisst trotz der Fülle, mit der ihn Fluss und See locken, viel weniger Fisch. Bären wollen einfach keine zusätzlichen Pfunde, an denen sie schwer zu tragen haben und die sie im Sommer zusätzlich aufheizen. Irgendetwas in ihrem Gehirn, irgendein chemisches Signal verleiht ihnen die frühlingshafte Selbstkontrolle, und wenn sich dieses Etwas isolieren und künstlich herstellen ließe, wäre es sicher das gefragteste Produkt, eines, das jeder von uns absolut bärenstark fände.
31.
Die Anatomie des Glücks
Wir sind eine Nation, der Puritanismus an der Wiege gesungen wurde und die Pedanterie mit der Muttermilch eingesogen hat. Es überrascht daher nicht, dass die Wissenschaft mit sehr viel mehr Enthusiasmus der Anatomie der Melancholie nachgespürt hat als dem Verstehen ungehemmter Fröhlichkeit. Stressreaktionen haben Wissenschaftler in allen Einzelheiten auseinander genommen. Sie wissen, dass stete Tropfen Adrenalin, Noradrenalin oder Kortisol den Körper aushöhlen, ihn abstumpfen lassen wie langsam tröpfelnde Säure und dass chronischer Stress zusammen mit seinen beiden treuen Kameraden Ärger und Depression uns krank machen und sogar umbringen kann. Allerdings hegen sie auch den Verdacht, dass Empfindungen wie Optimismus, Neugierde und Entzücken - das Schwindel erregende, törichte Gefühl, die Arme ausbreiten und die Süße des Frühlings besingen zu müssen - das Leben nicht nur lebenswert machen, sondern womöglich sogar verlängern. Sie glauben, dass Euphorie wenn sie ohne die Wirkung irgendeiner Substanz zustande kommt - gut für den Körper ist, dass Gelächter vor dem korrodierenden Angriff des Stresses schützt und dass fröhliche Menschen ihre galligen, klagenden Altersgenossen überleben. Wissenschaftler, die das Schicksal einer Gruppe von Medizinstudenten über fünfundzwanzig Jahre hinweg verfolgt haben, stellten fest, dass von denen, die man nach den Ergebnissen eines Temperamentstests zu den Lockeren, Gutgelaunten zählen würde, bis zum Alter von fünfzig Jahren nur zwei Prozent gestorben waren. Bei denen, die als mürrisch und abweisend eingestuft wurden, waren es immerhin vierzehn Prozent.
Warum jedoch Glücklichsein gesund ist und was der Körper tut, wenn er aus tiefstem Inneren jubelt, darüber hat die Wissenschaft nur die vagesten Hinweise. Endorphine, die hirneigene Opiumvariante, die nachweislich das Hochgefühl des Läufers verursacht, haben allem Anschein nach weniger mit Glücksgefühlen zu tun als vielmehr mit einem verminderten Schmerzempfinden. Eine weitere Verbindung, die dieser Tage große Aufmerksamkeit genießt, ist Oxytozin, ein kleines von der Hypophyse ausgeschüttetes Hormon und ein potenzieller Vermittler von Gefühlen der Befriedigung und Harmonie (vergleiche Kapitel 2). Die meisten Experimente waren bislang auf Nagetiere beschränkt, und die Gelehrten der Verhaltensforschung scheinen sich nur ungern auf die Jagd nach der Menschenversion der Kuscheldroge zu begeben. Mediziner ziehen es vor, sich mit ernsthaften Dingen zu befassen - das heißt mit Dingen, die Menschen krank machen.
Leider sehen zu viele Wissenschaftler das Glücklichsein aus einer negativen Perspektive. Dieser Logik zufolge gilt es nur deshalb als gesund, weil es uns vor dem Kräfte zehrenden Zugriff der Angst bewahrt oder uns motiviert, so löbliche Gewohnheiten zu pflegen wie das Essen von Obst und Gemüse, acht Stunden Schlaf pro Nacht und der Verzicht auf Alkohol und Zigaretten. Und doch weiß auch der muffeligste Forscher, dass wahre Freude weit mehr ist als das Fehlen von Stress und dass Glück einen eigenen, höchst aktiven Zustand der Besessenheit einschließt: das ausgeprägte, wunderbare Gefühl, zu den Gesegneten zu gehören, die das Leben feiern. Es ist ein köstlicher Reigen von Gefühlen, das Gegenstück zu einem Teufelskreis.
Einer der Gründe dafür, dass es so problematisch ist, das Glücklichsein zu verstehen, so klagen die Wissenschaftler, liegt in der Schwierigkeit, dieses Gefühl im Labor zu wiederholen. Sie können Leute ärgerlich machen, indem sie
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