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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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sie ein paar Stunden im Wartezimmer sitzen lassen. Sie können sie ängstigen, indem sie ihnen erklären, sie hätten einen Besorgnis erregenden Knoten bei ihnen gefunden. Aber es ist nahezu unmöglich, jemanden glücklich zu machen, ohne ihn, sagen wir, ein bisschen Kokain schnupfen zu lassen - wobei sie in diesem Fall ihr Ziel verfehlt hätten, das ja darin bestand zu beobachten, was in einem Zustand natürlicher Freude in dem Betreffenden abläuft.
    Eine Version der Fröhlichkeit, die sich dem Zugriff der Laboranalyse nicht entzieht, ist das Lachen. Anhaltendes Gelächter gehört, wie sich gezeigt hat, zu den angenehmeren Formen der Gymnastik: Während Sie lachen, spannen sich bei Ihnen die Muskeln in Bauch, Genick und Schultern in rascher Folge an und entspannen sich wieder. Herzschlag und Blutdruck steigen. Ein-und Ausatmen geschehen krampfartig und werden dadurch tiefer. Wenn das Gelächter nachlässt, sinken Blutdruck und Puls mit großer Wahrscheinlichkeit auf ein niedrigeres und bekömmlicheres Niveau, als Sie es vor Ihrem Heiterkeitsausbruch hatten. Hundert Lacher bilden das sportliche Äquivalent zu zehn Minuten Rudern - mit dem Unterschied, dass Sie beim Lachen immer noch lächeln können.
    Lachen hilft einem auch, sich gegen Unannehmlichkeiten zu wappnen. In einem Experiment zeigte man Studenten ein Videoband von Bill Cosby (in seiner Rolle als schlagfertiger Komödiant, nicht als heiliger Familienvater); die Kontrollgruppe durfte einen lehrreichen Film über die hohe Kumt des Bepflanzens von Blumenampeln betrachten. Beide Gruppen erhielten leichte, aber zunehmend hartnäckigere Elektroschocks. Beide hatten den Auftrag, sich zu melden, wenn der Schmerz unerträglich wurde. Es mag vielleicht niemanden erstaunen, aber die Cosby-Zuschauer ertrugen beträchtlich höhere Stromstöße als die Pflanzenbetrachter - wobei leider im Nachhinein nicht festzustellen ist, wie viel von ihrer Empfindlichkeit auf das Konto der Tristesse ihrer aufgezwungenen Unterhaltung ging.
    Selbst wenn sie sich mit Humor beschäftigen, können Forscher nicht umhin, dessen Schattenseiten zu erwähnen. Unter den relativ spärlichen Einträgen in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Gelächter finden wir eine außerordentlich große Zahl an Veröffentlichungen über pathologisches Gelächter, Fälle von Psychiatriepatienten, die lachen, um ihr Elend zu verbergen (»Die Behandlung derer, die sich selbst nicht ernst nehmen können«, wie es ein New Yorker Psychiater ausdrückte), oder hirngeschädigter Patienten, die völlig grundlos lachen. Ein Artikel berichtet über einen Mann, der aus Versehen ein mildes Insektizid eingeatmet hatte. Außer leichter Benommenheit, Zittern und unkontrollierbarem Gelächter zeigte er keinerlei Symptome. Die . Ärzte fanden keinen physischen oder neurologischen Schaden, aber der Mann lachte ohne Unterbrechung fünfundfünfzig Minuten lang - so lange, dass er am Ende jammerte, seine Bauchmuskeln würden ihn gleich umbringen. Man verabreichte ihm intravenös ein Beruhigungsmittel, sein Gelächter ließ nach, und die Ärzte schickten ihn nach Hause. Zweifellos taten sie es mit einem starren, triumphierenden Grinsen im Gesicht.

VI.
 
 
Erschaffen
     
     

32.
Der kunstsinnige Arzt
     
     
    Ob zu Lebzeiten oder nach seinem Tod - Vincent van Gogh galt nie als maßvoller Mensch und Maler. Seine Malerei war wild und ungezähmt. Er trank Unmengen Absinth und lebte tagelang, ohne etwas Essbares zu sich zu nehmen. Er schnitt sich das linke Ohrläppchen ab und beging im Alter von siebenunddreißig Jahren Selbstmord. Zu Lebzeiten verkaufte er nur ein einziges Gemälde, doch heute ist sein Werk zig Millionen Dollar wert. Und seit seinem Selbstmord im Jahr 1890 wurde der große Spätimpressionist nicht weniger als 152 postumen medizinischen Diagnosen unterzogen. Von den Ärzten, die sich über van Goghs Gemälde und seine ausführliche Korrespondenz den Kopf zerbrochen haben, wurde verschiedentlich behauptet, er habe unter Temporallappenepilepsie, einem Hirntumor, grauem Star, grünem Star, manischen Depressionen, Schizophrenie, Magnesiummangel oder einer Digitalisvergiftung gelitten. Digitalis wurde in früherer Zeit zur Behandlung von Epilepsie verordnet und kann zur Gelbsichtigkeit führen, was, so die Legende, van Goghs Vorliebe für leuchtende Gelbtöne erkläre.
    Kürzlich bot The Journal ofthe American Medical Association zwei originelle, wenn auch verdächtig glatte Diagnosen von van Goghs legendärem

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