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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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Brustbereich zur Produktion und Ausschüttung des Enzyms. Bei Männern produzieren eher die Fettzellen im Bauchbereich die Lipase.
    Das Muster der Lipase-Aktivität bei Männern mag deren Gewichtszunahme mittschiffs erklären. Warum aber die Fettzellen am Bauch eines Mannes das Enzym überhaupt in solchen Mengen herstellen, bleibt ein Rätsel. Vielleicht hat sich dieses Merkmal früh in der Evolution entwickelt, damit Männer die Rolle des Jägers, Kriegers - und gelegentlich auch die des Fliehenden - ausfüllen konnten. Das Fett um Bauch und Eingeweide spricht extrem auf die berüchtigten Stresshormone an, die ausgeschüttet werden, wenn die Entscheidung zwischen Flucht und Angriff ansteht. Wenn die Hormone sie kitzeln, setzen die Fettzellen im Bauchbereich bereitwillig Fettsäure-Brennstoff zur raschen Verwendung durch Herz und Muskeln frei. Doch worin auch immer sein ursprünglicher Zweck bestanden haben mag, beim modernen Mann stellt Fett in der Bauchgegend in den meisten Fällen eine Bedrohung für die Gesundheit dar, vor allem wenn es von dem chronischen Stress begleitet wird, der unsere allzu fortgeschrittene Zivilisation rotieren lässt. Unter konstantem Adrenalinstimulus schütten die Fettzellen unablässig Fett ins Blut aus. Entsprechend der Ausrichtung unseres Blutkreislaufs gehen die solchermaßen freigesetzten Fettsäuren direkt zur Leber, bevor sie zum Verbrauch durch die Muskelzellen im ganzen Körper verteilt werden. Wenn zu viele Fettsäuren in die Leber drängen, wird das Organ insulinresistent. Infolgedessen steigt der Blutzuckerspiegel, und die Bauchspeicheldrüse produziert mehr Insulin, was wiederum zu hohem Blutdruck, Diabetes und schließlich zu Herzerkrankungen führen kann.
    Von dieser Gefahr sind jedoch nicht nur Männer bedroht. Männer mögen zwar stärker als Frauen zu Bauchfett neigen, aber Frauen, die zu einer »apfelförmigen« Figur tendieren, tragen ein vergleichbares Risiko für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen wie dickleibige Männer. Umgekehrt besteht bei Männern mit einer »birnenförmigen«, das heißt oberschenkel-und gesäßbetonten Figur, wie man sie oft bei Frauen beobachtet, ein vergleichsweise geringes Herzinfarktrisiko.
    Die optimistischsten Forscher sind der Ansicht, dass sich aus dem Wissen über andere Säugetiere, die ihr Fett mit Fassung tragen, neue Behandlungsmethoden zur Bekämpfung des Übergewichts beim Menschen ergeben werden. Generell neigen wir stärker dazu, fett zu werden, als Tiere in freier Wildbahn - aus dem einfachen Grund, weil diejenigen von uns, die in den Industrienationen leben, über einen permanenten Zugang zu Nahrungsmitteln verfügen, dabei gleichzeitig aber mit einem Stoffwechsel gesegnet sind, der auf gelegentliche Hungerzeiten eingerichtet ist. Doch auch andere Geschöpfe werden fett, und das in freier Wildbahn. Und wenn sie zunehmen, dann richtig: Bei einer frei lebenden Makakenpopulation von etwa elfhundert Tieren, die auf der Insel Cayo Santiago vor der Südostküste von Puerto Rico lebt, sind etwa sechs Prozent der Tiere stark übergewichtig und erreichen beinahe das Doppelte des Makaken-Standardgewichts von ungefähr zwanzig Pfund. Doch keiner dieser gewaltigen Affen hat jemals eine der normalerweise mit Übergewicht verbundenen Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes bekommen. Und die Tiere verbringen ihr ganzes Leben höchst fruchtbar und aktiv. Es gibt sogar ein noch spektakuläreres Beispiel für Fettleibigkeit in freier Wildbahn: das Waldmurmeltier. Jahr für Jahr verdreifacht oder vervierfacht das Murmeltier sein Gewicht, um den Winter zu überstehen, und doch bleibt es dabei flink und weist keinerlei arteriosklerotische Ablagerungen auf. Bei ihren Bestrebungen zu verstehen, wie ein Tier auf so prachtvolle Weise so dick werden kann, stellten Wissenschaftler fest, dass die Konzentrationen an Lipoprotein-Lipase und anderen Enzymen des Fettstoffwechsels bei ihm genau zu dem Zeitpunkt in die Höhe schnellen, an dem das Geschöpf anfängt, sich auf den Winterschlaf vorzubereiten, um so rasch wie möglich so viel Fett wie möglich anzusetzen. Bis zum Frühling sind die Enzymkonzentrationen jedoch wieder auf das normale Niveau abgefallen. Das steht in komplettem Gegensatz zur biochemischen Dynamik beim Menschen: Leute, die lange Zeit hindurch übergewichtig gewesen sind, behalten ihren erhöhten Lipoprotein-Lipase-Spiegel sowie erhöhte Mengen an anderen Enzymen, wenn sie an Gewicht verlieren. Warum die

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