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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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Naturforscher, der die Nuancen des gesamten Organismus im Auge hat, wenn dieser sich an das Geschäft des Wachsens macht. Sie mustert die Embryonen von Taufliegen, Schmeißfliegen, Moskitos, Fröschen, Schmetterlingsraupen und Fischen; die Abenddämmerung weicht dabei dem Dunkel der Nacht, das Dunkel dem Morgen, und noch immer schaut sie. Doch ist sie alles andere als eine unpräzise Empirikerin. Neue Techniken eignet sie sich rasch an, und mit Hilfe der Molekularbiologie verleiht sie ihren Beobachtungen immer mehr Schärfe.
    »Wenn ich so viele Stunden am Mikroskop verbringe, benutze ich die Techniken des zwanzigsten Jahrhunderts, um einen Ansatz aus dem neunzehnten Jahrhundert zu verfolgen«, erklärt sie. Inzwischen bekommt die Technologie einen Anstrich von einundzwanzigsternjahrhundert, denn sie und Dr. Odell haben ihre Beobachtungsmikroskope an Computer und Kontrollgeräte angeschlossen, die es Dr. Foe erlauben, einzelne Zellen eines Fliegenembryos zu markieren und dann deren gesamte Odyssee von ihren Anfängen in der Blastula bis zu ihrem Endziel als Bestandteil von Fühlern, Beinen, Thorax oder Auge zu verfolgen. Beendet wird das Unternehmen voraussichtlich gegen Ende der neunziger Jahre sein. Der daraus resultierende Zellatlas wird die detailliertesten Aufzeichnungen aller Zeiten über embryonales Wachstum enthalten und jenen Zellstammbaum, den die Wissenschaftler von dem weit primitiveren Nematoden C.elegans angelegt haben, an Komplexität um ein Vielfaches übertreffen. Dr. Foe und all die anderen Taufliegenspezialisten, die die Fertigstellung ihres Meisterwerks erwarten, werden dann die minutiösen Beschreibungen des einzelnen zellulären Schicksals verwenden können, um zu bestimmen, welche Gene im Lauf der Reifung das Verhalten von Zellen kontrollieren. Und es ist ein unerschütterlicher Glaubenssatz für die Wissenschaftler, dass die Entdeckung der Gene, die für das Wachstum von Fruchtfliegenlarven verantwortlich sind, die Entdeckung äquivalenter Entwicklungsgene beim Menschen beschleunigen wird.
    Der Ansatz des Beobachters kommt überdies Dr. Foes ästhetischem Empfinden entgegen. »Es gibt immer Wege, die Sie nicht gegangen sind, und andere Pfade, die Sie locken, und für mich war dieser andere Pfad die Kunst«, so Dr. Foe. »Wenn Sie meine Wissenschaft betrachten, so ist sie extrem visuell.« Sie fertigt detaillierte Zeichnungen von dem an, was sie sieht, und ihre fein gestrichelten und brillant kolorierten Zeichnungen von Fliegenembryos sind so ansprechend und eine solche Augenweide, dass es ein Jammer ist, ihnen nur in wissenschaftlichen Zeitschriften zu begegnen. Dr. Foe ist außerdem Perfektionistin. Während andere Wissenschaftler sich beeilen, in möglichst kurzer Zeit so viele Publikationen wie möglich zu produzieren, arbeitet sie jahrelang an einem Projekt und berichtet über ihre Ergebnisse erst, wenn sie zufrieden und der Ansicht ist, dass die Ergebnisse solide und komplett sind. Ihr Lebenslauf liest sich deshalb kürzer als der vieler anderer Wissenschaftler ihres Alters, doch die meisten der aufgelisteten Artikel kommen eher Büchern als Forschungsberichten gleich. Anlässlich der Publikation eines ihrer erschöpfend-ausführlichen Artikel warnte die Zeitschrift Development künftige Autoren, sich bezüglich der Länge ihrer Beiträge auf keinen Fall ähnliche Freiheiten zu erlauben, wenn sie nicht mit gleicher Solidität und Breite ihrer Forschung aufwarten könnten. »Ihre Arbeit setzt eine Art von Geduld voraus, über die so gut wie niemand mehr verfügt«, erklärt Dr. Odell. »Das hat etwas Klösterliches.«
    Und noch ein Widerspruch: Dr. Foe mag eine wissenschaftliche Einsiedlerin sein, aber sie verfügt über ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein. Einer der Gründe dafür, dass sie sich nie um eine feste Dauerstelle im Wissenschaftsbetrieb bemüht hat, war ihr Wunsch nach der Freiheit, rasch umsatteln zu können, wenn sie politische Aktivitäten weiterzuverfolgen gedachte. Als Doktorandin an der University of Texas in Austin pausierte sie anderthalb Jahre, um als politische Beraterin tätig zu sein und das Abtreibungsgesetz des Staates zu kippen. Sie war in der Frauenbewegung und in der Anti-Vietnam-Bewegung aktiv. In jüngster Vergangenheit gingen sie und Dr. Odell gegen den Golf-Krieg auf die Barrikaden und reisten nach Kanada, wo Dr. Foe ein Stück Land besitzt, um gegen Pläne der kanadischen Regierung zu protestieren, nach denen die Abholzung gewachsenen Waldes erlaubt

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